Kampfstark: Simone Briese-Baetke ist eine der besten Rollstuhl-Fechterinnen der Welt. Bei den Paralympics in London will sie sich ganz nach vorne kämpfen.

Tübingen - Simone Briese-Baetke ist eine der besten Rollstuhlfechterinnen der Welt. Doch ihre Leidenschaft für diesen Sport entdeckte sie erst recht spät. Durch die Geburt ihres Sohnes erkrankte sie an MS und sitzt seit ihrem 22. Lebensjahr im Rollstuhl.
Die heute 46-Jährige betrieb zur ihrer Jugendzeit aktiv Leichtathletik in den Disziplinen Sprint und Langstrecke. Doch nach der Geburt ihres Sohnes verändert sich ihr Leben schlagartig. Durch die Schwangerschaft im Alter von 22 Jahren, wurde die Krankheit Multiple Sklerose hervorgerufen, im Laufe der Zeit kamen auch spastische Anfälle hinzu. Doch bis zu dieser Diagnose dauerte sieben Jahre, die Krankheit ist nur sehr schwer festzustellen. Die Epilepsie war so schlimm, dass sie kaum einen Tag erlebte, an dem sie keinen Anfall hatte. Bis zu 30 mal im Monat kam es vor. Nachdem die Diagnose feststand, machte sie sich umgehend auf den Weg eine Klinik zu finden, die auf solche Fälle spezialisiert ist. Nach langer Suche wurde sie in Greifswald fündig. Weitere Monate vergingen bis endlich feststand, dass zumindest die epileptischen Anfälle operabel behoben werden können. Jedoch liegt die Chance 1:100.000 dass diese auch erfolgreich verläuft und die Epilepsie gestoppt werden kann.

Immer wenn ich Schmerzen habe, fahre ich zum Training."
 

 

Briese-Baetke entschloss sich, die Operation durchführen zu lassen, um ein neues Leben anzufangen. Und das gelang. „Ich habe ein zweites Leben begonnen.“ Jedoch nicht ohne Nebenwirkungen: Seit der OP hatte sie zwar keine spastischen Anfälle mehr, jedoch wurde bei dem Eingriff, der im Gehirn stattfindet, ihr Kurzzeitgedächtnis und ihr Sehnerv beschädigt. Das hatte zur Folge, dass sie sich kaum noch an Sachen erinnerte, die erst kürzlich geschehen waren und ihr Sichtfeld nur noch zu 35 Prozent vorhanden war. „Nehmen Sie zwei Toilettenpapierrollen und sehen sie dort durch, genau so viel ist von meinem Blickfeld noch vorhanden.“ Als sie ihren Rollstuhl bekam, stellte sie fest, dass man sich durchaus sehr gut darin fortbewegen kann. Und natürlich wollte sie weiterhin Sport betreiben. Aber die Wahl des Sportes sollte so ausfallen, dass auch ihre verlorenen Fähigkeiten trainiert werden. Schließlich ist sie durch ihre Augenärztin auf das Rollstuhlfechten aufmerksam geworden. „Wenn man im Rollstuhl sitzt und querschnittsgelähmt ist, darf man sich damit nicht abfinden, sonst hat man gleich verloren. Man muss die Krankheit einfach ignorieren.“

Im März 2007, nachdem sie ihr drittes Probetraining absolviert hatte, stand für sie fest: „Das ist genau der richtige Sport für mich.“ Sie war verrückt danach und konnte nicht mehr damit aufhören. „Immer wenn ich Schmerzen habe - und die habe ich fast andauernd - packe ich meine Sachen und fahr zum Training.“ Es ging sogar soweit, dass sie sich mit ihrem Rollstuhl vor die Dartscheibe ihres Sohnes stellte und mit einem Holzstock immer und immer wieder versuchte, die selbe Stelle zu treffen. „Es hört sich fast krank an, aber ich habe mir sogar eine eigene Schaufensterpuppe für das Üben angefertigt.“ Sie kaufte sich eine Puppe und präparierte diese so, dass wenn sie bestimmte Stellen am Körper mit ihrem Degen trifft, die Augen leuchten. Und natürlich sitzt diese Puppe auch im Rollstuhl.

Schon bei den ersten Wettbewerben mischte die Sportlerin ganz vorne mit.

Nur neun Monate später nahm sie an ihrem ersten Weltcup teil, schlug prompt die Nummer eins der Weltrangliste in der ersten Runde des K.O.-Systems und gewann schließlich Silber. Seither ist sie auf der ganzen Welt unterwegs und sammelt weiter Trophäen. Zu ihren Erfolgen zählen unter anderem: vier Jahre in Folge deutsche Meisterin im Degen und Florett, mehrfache Weltcupsiegerin, zweifache Europameisterin 2009 im Degeneinzel und mit der Mannschaft, WM Bronze 2010 im Degen und Florett, WM Bronze 2011 im Degen, Gesamtweltcupsieg 2009 im Degen und 2011 im Degen und Florett und Bronze bei der EM 2011 wiederum im Degen und Florett.
Normalerweise tritt man beim Fechten nur in einer Disziplin an. Das ist aber im Behindertensport anders. Aus den drei verschiedenen Arten Degen, Florett und Säbel müssen zwei Disziplinen gewählt werden. So kommt es, dass Briese-Baetke meist in zwei Wettkämpfen Medaillen holt. Das System ist ähnlich wie im Gesundensport, außer, dass die Rollstühle am Boden fixiert sind und nur Treffer im Bereich des Oberkörpers zählen. Durch ihre sehr starke ausgeprägte Krankheit, fällte Simone in den Bereich „schwerstbehindert“. In den drei Kategorien a - zum Beispiel Unterschenkelamputation - ,b - klassischer Querschnitt oder Erkrankungen die diesem Bild gleichen - und c - höherer Querschnitt bei Brusthöhe, dürfte sie theoretisch in c starten. Jedoch startet sie immer in der Kategorie b. Aus einem einfachen Grund: Es gibt keine Austragung des c-Feldes bei den paralympischen Spielen.

Rückschlägen zum Trotz auf Medaillenkurs.


In ihrem Leben musste Briese-Baetke aber auch weitere Schicksalsschläge hinnehmen. Durch eine Entzündung ihrer Harnblase, hervorgerufen durch den Katheter, stand sie kurz davor, an Blasenkrebs zu erkranken. Gerade noch rechtzeitig wurde der Tumor entfernt. Doch für Briese-Baetke hieß das, eine längere Zeit keinen Sport mehr ausüben zu dürfen. Aber sie kämpfte sich wieder an die Weltspitze heran und war zurück.
Täglich trainiert sie zirka fünf Stunden und deckt alle Bereiche, wie Stoßkissen, Ausdauer und Krafttraining ab. Selten bleibt noch Zeit für Hobbys, aber wenn sie im Sommer ein bisschen Zeit für sich und ihren Mann nehmen kann, fahren sie zu zweit mit ihrem Trike raus und genießen einfach nur die Natur. Ihr größter Erfolg bislang waren die WM-Bronzemedaillen und die Qualifikation für die Paralympischen Spiele 2012 in London, die sie bereits im Herbst vergangenen Jahres schaffte. Natürlich ist ihr großes Ziel hierbei einen Medaillenrang zu erreichen, aber bei ihr geht es immer von Treffer zu Treffer und am Ende des Tages wird unterm Strich betrachtet, wie es gelaufen ist. „Hauptsache ich bin mit mir zufrieden und kann auf diese Leistung stolz sein.“