In Thailand sind die Regierungsgegner fest entschlossen, die Parlamentswahl am Sonntag zu verhindern – notfalls mit Gewalt. Die Stimmung ist aufgeheizt wie noch nie seit Beginn der Proteste und eine Ende der Konfrontation ist nicht absehbar.

Bangkok - Es muss schon in Strömen regnen, damit sich keine Menschen an der Straßenecke Yaowarat und Yaowa Road in Bangkoks Chinatown drängeln. Aber an den Tagen vor dem chinesischen Neujahr, das am Freitag gefeiert wird, knubbelt sich die Kundschaft am Kuay Jab Nai Huan besonders dicht. Die Straßenbude ist für ihre Reisnudeln mit knusprigem Schweinebauch berühmt. Bei aller Festtagsvorfreude und trotz der zahllosen roten Lampions in Chinatown will sich dennoch keine Feierstimmung bei dem 49-jährigen Nattapan Sheeranon einstellen, der samt Tochter und Ehefrau hergekommen ist. „Ich glaube an die Wissenschaft“, sagt er, „der ganze Hokuspokus hier ist mir zuwider.“

 

Er meint die von Thailands oppositioneller Demokratischen Partei gelenkten und von ihrem früheren Generalsekretär Suthep Thaugsuban geführten Proteste, die Bangkok seit nunmehr drei Monaten in Atem halten. „Jedes Jahr beschenken sie die Beamten im Finanzamt, um bei den Steuern zu schummeln“, schimpft Nattapan Sheeranon über die Demonstranten, „und dann stellen sie sich hin und behaupten, gegen die Korruption zu kämpfen.“

Mit Knüppeln von den Wahllokalen vertrieben

Der Mann, der als Lehrer an einer staatlichen Schule und als Taxifahrer ein ansehnliches Einkommen nach Hause bringt, war bisher fest entschlossen, am Sonntag von seinem Wahlrecht Gebrauch zu machen. „Ich will mein Kreuz bei ‚Keine Partei‘ machen“, erzählt er. Aber nachdem die Protestbewegung PRDC bei der Vorwahl wahlwillige Thailänder mit Knüppeln, Drohungen und Würgegriffen von den Stimmlokalen vertrieben hat, rätselt Nattapan, ob er überhaupt eine Urne zu Gesicht bekommt – geschweige denn mit seiner Stimme zeigen kann, dass er keine der großen, die Schlagzeilen beherrschenden politischen Lager für wählbar hält.

Thailands Regierung beschloss am vergangenen Dienstag nach einer hitzigen Diskussion mit der Wahlkommission, wie geplant am Sonntag Parlamentswahlen abzuhalten. Somchai Srisuthiyakorn, der mit den Regierungsgegnern sympathisierende Sprecher der Wahlkommission, hatte eine Verschiebung um mehrere Monate verlangt, „weil er die Sicherheit nicht garantieren könne“. Am vergangenen Sonntag rief er nicht einmal mehr die Polizei zu Hilfe, um die Wahllokale gegen Störer zu schützen.

Die Premierministerin auf ewig aus der Politik verbannen

Jetzt sind die Regierungsgegner fest entschlossen, die Wahl zu verhindern. Oppositionsführer Abhisit Vejjajiva, dessen Demokratische Partei die Wahl boykottiert, warnte in ominösen Worten: „Es wird mehr Konfrontation geben.“ Suthep Thaugsuban kündigte an: „Wir werden alles einsetzen, um die Wahl zu verhindern.“ Sein Ziel ist, den Rücktritt der mit einer Mehrheit von 15 zu etwa 13 Millionen Gegenstimmen gewählten Premierministerin Yingluck Shinawatra zu erzwingen und sie gemeinsam mit ihrem älteren, im Exil lebenden Bruder Thaksin „auf ewig aus der Politik zu verbannen“.

„Raang Song“, der Hexer, wie manche Thailänder Suthep getauft haben, verwandelte die Proteste in ein soziales Ereignis, zu dem täglich Tausende von Bewohnern der Hauptstadt kommen. Die Straßenhändlerin Yada Sanha aus Phapplha Chai in der Provinz Buri Ram war noch nie bei den Protesten. Als sie vor ein paar Tagen im Wahllokal Phaya Thai von Bangkok bei der Vorwahl ihre Stimme abgeben wollte, war das Stimmlokal auf Anweisung der Wahlkommission bereits geschlossen.

Es wird ein Wochenende der Gewalt erwartet

Dabei hatte sie eigens die Genehmigung beantragt, eine Woche früher in Bangkok zu wählen, weil sie am 2. Februar nicht in ihrer Heimatprovinz sein würde. Die Regierungsgegner wiederum hatten die Beamten der Wahlkommission eingeschüchtert. „Sie haben mir mein Recht genommen“, klagte Yada Sanha. Dann kullerten Tränen des Zorns über ihre Wangen.

Für viele Regierungsgegner in Bangkok ist nicht nachvollziehbar, wie wichtig das Wahlrecht für Thailänder ist, die außerhalb der Metropole leben. Die Stimmung ist aufgeheizt wie noch nie seit Beginn der Proteste. „Am Sonntag werden wir bei der Wahl vorbereitet sein“, warnte der 37-jährige Chauffeur Wichet Thatho aus Pitsanulok, der bei der Vorwahl im Stadtteil Lat Krabang vergeblich zur Stimmabgabe in die Sangkarashaa-Schule gekommen war.

Ein Führer der Regierungsgegner wurde erschossen

Manche Thailänder belassen es nicht mehr bei Worten. Ein wichtiger Funktionär der regierungstreuen Rothemden entkam verletzt einem Kugelhagel von 42 Schüssen. Ein Führer der Regierungsgegner wurde am Sonntag bei einem professionell vorbereiteten Hinterhalt erschossen, nachdem er die Schließung eines Wahllokals erzwungen hatte. Seit Wochen gibt es immer wieder Überfälle mit dem Ziel, die Demonstranten, die sechs Verkehrsknotenpunkte in Bangkok besetzen, einzuschüchtern. Die Gewalt forderte bisher elf Tote und zahlreiche Verletzte.

Der Rothemden-Führer Nattawut Saikuar warnte: „Wenn die Gerichte die Gesetze verdrehen, werden wir antworten.“ Die Regierung Yingluck steht nicht nur unter dem Druck der Straße. Ihre Gegner versuchen gleichzeitig, sie sprichwörtlich in einem Labyrinth von Anklagen, Korruptionsvorwürfen und Gerichtsprozessen einzuengen, damit sie ihre Handlungsfähigkeit verliert.

„Ich brauche keinen Wahlkampf zu machen“, freut sich inmitten des Machtkampfs Chuwit Kamolvisit von der Rak Thailand Party in seinem Hauptquartier. Es ist eine Oase der Ruhe in einem traditionellen Thai-Haus und liegt in einem Park an der Geschäftsmeile Sukhumvit, der angesichts der hohen Grundstückspreise umgerechnet 670 Millionen Euro wert sei, prahlt der Politiker. Vor zehn Jahren war er noch Chef von 300 000 Sex-Masseusen in Bangkok. Im Dezember meldete sich bei Chuwit, der als politischer Außenseiter mit vier Parteikollegen im Parlament sitzt, ein Führungsmitglied der oppositionellen Demokratischen Partei mit einer Frage: „Willst du die Wahl boykottieren?“ Der Ex-Zuhälter wollte nicht. Stattdessen überrollt er Bangkok mit einer Plakatwelle. Der einzige Slogan: „Rettet den demokratischen Prozess! Geht wählen!“

Eine neue Volkskrankheit

Chuwit hofft auf Landsleute wie Nattapan Sheeranon. Unzufriedene Thailänder, die aus Frust über den Konflikt nach politischen Alternativen suchen und deshalb den ehemaligen Zuhälter in den zukünftigen Oppositionsführer im Parlament verwandeln könnten. Aber Chuwit weiß wie die meisten wahlwilligen Thailänder, dass der Urnengang kein Ende der Konfrontation bringen wird. Angesichts der Verfahrenheit der Situation entdeckte Thailands Gesundheitsministerium eine neue Volkskrankheit. Sie nennt sich Politisches Stress-Syndrom, kurz PSS, und die Beamten wissen auch schon, wie man es wieder auskuriert. Man solle sich mit anderen Dingen als Politik beschäftigen, so der Rat des Ministeriums, und drei bis fünf Mal pro Woche ins Fitnesscenter gehen. Eine kalte Dusche für alle Hitzköpfe wäre besser.