Kein Scherbengericht, keine innerparteilichen Schuldzuweisungen. Der scheidende Peer Steinbrück schaut nach vorn. Dennoch dominiert Wehmut diesen letzten großen Auftritt des gescheiterten Kanzlerkandidaten.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Leipzig - Dies ist kein Abschied“, sagt Peer Steinbrück. Er sei nicht vor 44 Jahren in die SPD eingetreten, um Karriere in der Politik zu machen. Sozialdemokrat bleibe man auch, wenn man sich aus der ersten Reihe zurückziehe. Dennoch dominiert Wehmut diesen letzten großen Auftritt des gescheiterten Kanzlerkandidaten. Gut 15 Minuten währt der Abgang, dann hat er seine Pflicht vollends getan – auch wenn Steinbrück verspricht: „Für unsere gemeinsamen Ziele bleiben die Pferde meiner Kavallerie gesattelt.“ Er habe viel Solidarität empfangen, sagt er und fügt im emotionalen Überschwang mit holpernder Stimme an: „Die SPD kann sich, solange ich lebe, immer auf meine Solidarität verlassen“.

 

Es ist unwahrscheinlich, dass der Wahlverlierer trotz aller finanzpolitischen Kompetenz noch einmal das große Wort führen wird in der SPD – dass er nach all den Attacken auf den Kandidaten ein zweites Mal zurückkommen will. „Wir sind als Freunde in den Wahlkampf gestartet“, ruft ihm Parteichef Sigmar Gabriel hinterher. Dann habe es gelegentlich gerumpelt. Aber „wir haben als Freunde den Wahlkampf beendet – Du bist einfach ein feiner Kerl.“

Redner bewegen sich in der von Gabriel ausgelegten Spur

In der Wahlanalyse scheinen sie sich im Kern einig zu sein. Die dezente Kritik, dass die Stinkefinger-Debatte im Wahlkampf den politischen Diskussionsfluss unterbrochen hätte, hat der Vorsitzende dem Exkandidaten schon am Morgen via Interview mitgeteilt. Steinbrück sieht keinen Grund für innerparteiliche Schuldzuweisungen oder Scherbengerichte. Und alle, die sich nach der Gabriel-Rede an der Aussprache beteiligen, halten sich daran. Ordentlich und souverän findet Parteivize Olaf Scholz die Aufarbeitung, weil sich die Redner in der von Gabriel ausgelegten Spur bewegen. „Man findet uns gut, traut uns aber nicht die Regierungsfähigkeit zu“, stellt der Hamburger Bürgermeister fest. „Man hätte uns gerne dabei, will es uns aber nicht machen lassen.“ Künftig müsse die SPD beweisen, dass alle Wähler bei ihr gut aufgehoben seien. Daran dürfe in vier Jahren niemand mehr einen Zweifel haben. Die Sozialdemokratie dürfe ein Ergebnis wie am 22. September nicht akzeptieren und das Ziel, stärkste Partei zu werden niemals aufgeben.

Eine Fehleranalyse ohne Selbstkasteiung und Selbstmitleid hat die Generalsekretärin Andrea Nahles zu Beginn angemahnt. Die SPD sei wieder bei sich, aber sie sei noch nicht genügend bei den Menschen, stellt sie moderat fest. Und weil man nicht zur Tagesordnung gehen dürfe, komme der Parteitag zum jetzigen Zeitpunkt gerade recht. So bleibt es Rednern der zweiten oder dritten Reihe vorbehalten, auf den „krachenden, kommunikativen Fehlstart“ sowie auf Abstimmungsschwierigkeiten zwischen Gabriel und Steinbrück hinzuweisen. „Wir haben kein Bild vermittelt, weshalb die Wähler ihr Kreuz bei der SPD hätten machen sollen“, sagt ein Hinterbänkler. Ein Delegierter aus dem Südwesten zeigt sich von den Antworten Gabriels auf die Niederlage gänzlich enttäuscht.

Die Parteilinke Mattheis freut sich über die Öffnung der SPD gen Linkspartei

Der baden-württembergische Europaminister Peter Friedrich urteilt immerhin, dass sowohl 2008 als auch 2012 in der unglücklichen Kandidatenfindung bereits der Keim der Niederlage gelegt gewesen sei. Zudem moniert er, dass die Sozialdemokratie keinen überzeugenden Gegenentwurf für die Europapolitik vorgelegt habe. So wogt es hin und her. Während der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil fordert, die Aufarbeitung der Pleite nicht mit dem Leipziger Parteitag enden zu lassen, richten etliche Redner den Blick lieber nach vorne: Selbstkritisches Nachdenken sei wichtig, betont der Thüringer Landeschef Christoph Matschie – genauso wichtig sei es jedoch, den SPD-Wählern zu zeigen, „dass wir für sie kämpfen“. Die Parteilinke Hilde Mattheis freut sich schon über die Öffnung der SPD gen Linkspartei. Dies sei „gut, notwendig und richtig“. Man dürfe sich nicht mehr verengen auf eine (rot-grüne) Konstellation. „Darüber werde ich nicht mehr mit Sigmar streiten müssen“, sagt Mattheis. Mehr darf man vom internen Reinigungsprozess für den Anfang nicht erwarten.