Dresden bietet das Kontrastbild zu Paris: Dort demonstrierten die Menschen für Toleranz und Freiheit. In der Elbmetropole trotten verstörte, verbiesterte Bürger hinter Parolen her, die für Misstrauen, Ängste und Vorurteile sprechen.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Dresden - Dresden schämt sich. Bedeutende Institutionen der Stadt demonstrieren ihre Distanz zu den Leuten, die dort seit einem Vierteljahr immer montags in den Abendstunden massenhaft spazieren gehen. An der Fassade der Gemäldegalerie hängt ein Transparent, auf dem zu lesen ist, dass dies ein „Haus voller Ausländer“ sei. Die Ausländer heißen nicht Kemal oder Ahmed, sondern Rembrandt und Rubens, Raffael und Canaletto. In der Kunstakademie pinseln die Studenten arabische Sprüche an die Fenster. Dort steht auch zu lesen, dass „Flüchtlinge willkommen“ seien.

 

Diese Ansicht teilen nicht alle. Die Spaziergänger an diesem Montagabend tragen Schilder, auf denen andere Botschaften zu lesen sind: „Überfremdung stoppen“. Oder: „Meine Heimat bleibt deutsch“. Die Kanzlerin wird geschmäht, weil sie in ihrer Neujahrsansprache vor Hass gegen Fremde gewarnt hatte. „Merkel, Sie können uns mal ...“ heißt es auf einer der Protesttafeln. Einer trägt sein Weltbild in Form einer drastischen Gleichung zur Schau: „Islam = Karzinom“. Die Veranstalter hatten ihren Anhang gebeten, Trauerflor zu tragen. Davon ist nichts zu sehen. Von Trauer keine Spur.

Eine Minute lang herrscht Schweigen

Dresden bietet das Kontrastbild zu Paris am Sonntag: In der französischen Hauptstadt demonstrierten die Massen auf den Straßen republikanisches Selbstbewusstsein. Sie marschierten für Toleranz und der Freiheit. In der Elbmetropole trotten verstörte, verbiesterte Bürger hinter Parolen her, die für Misstrauen, Ängste und Vorurteile sprechen. Hier werden Feindbilder propagiert – Zwietracht, keine Einigkeit.

Auch wenn das Morden der Gebrüder Kouachi in Paris „Wasser auf unsere Mühlen zu sein scheint“, so die Rädelsführer von Pegida, „nehmen wir dies nicht zum Anlass, uns damit zu brüsten, weil wir keine Schreihälse sind, als die wir verunglimpft werden“. Für eine Minute gilt dieser Satz tatsächlich. Eine Minute lang herrscht Schweigen, verordnet vom Podium herab. Das Schweigen gilt aber „nicht explizit“ den Opfern der Attentate von Paris, wie Lutz Bachmann betont, der Erfinder von Pegida. Aus seinen Sätzen spricht kein Mitgefühl. „Je suis Charlie“ - solche Bekenntnisse sind hier weder zu sehen noch zu hören. Es gibt keine Plakate, keine Aufkleber, keine Transparente dieser Art. Von den Ermordeten und den Gründen, weshalb sie zur Zielscheibe fanatischer Gewalt wurden, ist keine Rede. Bachmann sagt bloß, dass die Gräueltaten von Paris „ein weiterer Beweis für die Daseinsberechtigung von Pegida“ seien.

Die Opfer von Paris hätten es nicht verdient, von solchen Hetzern missbraucht zu werden, hatte Bundesjustizminister Heiko Maas vorab erklärt. Aus Frankreich melden sich Kollegen der ermordeten Karikaturisten von „Charlie Hebdo“ und kritisieren, Pegida versuche den Terror auf zynische Weise zu instrumentalisieren. Das gleiche einer „Grabschändung“. Die Aufmärsche in Dresden stünden für alles, was „Charlie Hebdo“ bekämpft habe. Das Aktionsbündnis „Dresden nazifrei“ nennt die zur Schau getragene Empörung über den Terrorakt ein „Höchstmaß an Abscheulichkeit“. In diesem Umfeld erschienen Beileidsbekundungen, als würden die Strippenzieher von Pegida „den Opfern posthum ins Gesicht spucken“. Es gibt aber gar keine Beileidsbekundungen.

„Wir werden auf eine Stufe mit Massenmördern gestellt“

Kathrin Oertel, die neue Frontfrau von Pegida, nennt das Gerede von einer Instrumentalisierung der Terroropfer den „Aufschrei des etablierten Systems“. Und dann spricht sie weiter, als seien in diesen Tagen nicht in Paris, sondern in Dresden Opfer zu beklagen. Sie meint die Herrschaften, die unablässig in die Nacht hinausschreien, dass es ganz schauerlich von den Plattenbaufassaden widerhallt, sie und nur sie allein seien „das Volk“. Ihre Anliegen seien „Diffamierungen und Falschmeldungen wie zu tiefsten DDR-Zeiten ausgesetzt“. Oertel fasst es so zusammen: „Wir werden auf eine Stufe mit Massenmördern gestellt“.

Ihr Kollege Bachmann hält sich nicht mit Verschwörungstheorien auf. Pegida habe schon genug „Staub aufgewirbelt“, es sei nun an der Zeit, konkrete Forderungen zu stellen. Die klingen wie ein verzerrtes Echo aktueller politischer Debatten. Bachmann fordert ein Zuwanderungsgesetz, das „unkontrollierte Zuwanderung stoppen“ solle. Zudem müsse es eine „Pflicht zur Integration“ vorschreiben und die „konsequente Ausweisung von Islamisten“ ermöglichen. Auf seiner Wunschliste stehen auch Volksentscheide auf Bundesebene, mehr Geld für die innere Sicherheit und ein „Ende der Kriegstreiberei unter anderem gegen Russland“.

Am Schluss verfällt er in eine geradezu liberale Tonlage. Er sei sich „völlig bewusst“, so ruft er, „dass die Masse der muslimischen Mitbürger Morde genauso verabscheuen wie wir“. Solche Ausländer, sagt Bachmann, seien „willkommen bei uns“. Als sich die Prozession schließlich in Bewegung setzt, bittet der Pegida-Chef um „absolutes Schweigen“. Er fügt hinzu: „aus Respekt“ – vergisst aber zu erwähnen, wem oder welchen Werten dieser Respekt gelten solle. Es wird ohnehin kein Schweigemarsch. Bachmanns Gefolge schreit allemal lauter als die versprengten Gegendemonstranten, denen es auch mit Sitzblockaden auf offener Straße nicht gelingt, diese Bewegung aufzuhalten. So zieht sie durch die Nacht: eine pöbelnde, grölende Kolonne, die immerhin diszipliniert genug ist, sich nicht in Raufreien verwickeln zu lassen. Dafür sorgen viele Ordner. Einer von ihnen ruft: „Locker bleiben, meine Fresse!“