Macht die Digitaltechnik Haustiere intelligenter – oder befördert sie uns auf deren Entwicklungsstand zurück?  

Stuttgart - Die Flut an Videos, auf denen Tiere mit einem der neuen Tablettrechner von Apple hantieren (pfotieren?), ist ungewöhnlich und bemerkenswert. Es sind nicht einfach nur Variationen der üblichen niedlichen Tiervideos, auf denen eine Katze versucht, einen Mauspfeil auf dem Bildschirm einzufangen. (Ich hatte mal eine Katze, die bei Formel-1-Rennen hinter den Fernseher schlich, um zu sehen, wo die mausgroßen Fahrzeuge herauskommen, die da über den Schirm huschten).

 

Auf den ersten Blick scheinen die iPad-Clips zu zeigen, zu welchen ungewöhnlichen Intelligenzleistungen das flache Gerätein Lebewesen herauszufordern imstande ist. Natürlich kann es auch andersherum sein – dass nämlich nicht die Katze vom technischen Fortschritt evolutionsbeschleunigt wurde und nun plötzlich die Wischgesten der Apple-Wunderdinge beherrscht, sondern dass wir Nutzer durch die Beschränktheit unserer Hightech-Gadgets auf den Entwicklungsstand eines Haustiers zurückbefördert werden. Aber das ist nicht der Punkt.

Das erste Tier, das von Apple domestiziert wurde, war die Schlange. Ich meine die Warteschlange, die tagelang und größer als jeder mythische Drache friedlich vor den Apple Stores dieses Planeten ausharrt, wenn’s mal wieder etwas Neues in Schachteln gibt. Der Vergleich mit der Schlange liegt schon wegen des Firmenlogos mit dem angebissenen Apfel nahe, der an den biblischen Baum der Erkenntnis erinnert. (Aus der Wikipedia habe ich gelernt, dass der Apfel als verbotene Paradiesfrucht auf einer falschen Übersetzung des lateinischen Wortes „malum“ beruht, das sowohl „böse“ als auch „Apfelbaum“ bedeuten kann).

Tiere als Produkttester

Hier nähern wir uns dem Kern der iPad-Tiervideos. Es sind neuartige Formen der Rezension. Sie leben von der Unbestechlichkeit von Tieren. Ich hab mal mit jemandem zusammengewohnt, der einen Kanarienvogel hatte. Er (der Kanarienvogel) hieß Joey. Eines Tages kam mich ein befreundeter Musiker besuchen. Er hatte eine Demoaufnahme seines jüngsten Albums dabei und wollte mein Urteil hören. Ich wies ihn zum Vergnügen auf Joey hin.

Joey hatte Musikgeschmack. Er mochte beispielsweise Bruckner und Billy Idol. Missfiel ihm Musik, hüpfte er von seiner Schaukel und starrte finster hinter dem Blechrand am Käfigboden hervor. Wir hörten die Aufnahme, und Joey stand hinter dem Blechrand, bis die Musik aufgehört hatte. Mein Freund der Musiker war am Boden zerstört, kein gutes Zureden half. Von dem Album hat man nie wieder etwas gehört.

Das ist es, was die iPad-Tiervideos in Wirklichkeit sind: nicht nette Unterhaltung, sondern Produktbesprechungen mit der Anmutung von Gottesurteilen – nicht von gewöhnlichen menschlichen Kritikern verfasst, sondern gewissermaßen von einer höheren Macht. Die User-Menschen führen nur vor, was ihnen da Erstaunliches an die Hand gegeben wurde. Und lustig ist es auch noch.

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