Pflegebedürftige Menschen müssen nicht immer ins Heim. Die grün-rote Landesregierung will alternative Lebensformen fördern, etwa in Wohngemeinschaften. Müssen die dann aber von der Heimaufsicht kontrolliert werden?

Stuttgart - Wenn man Streitpunkte innerhalb der grün-roten Regierungskoalition sucht, fallen sofort die unterschiedlichen Haltungen der Koalitionäre zur Stabilisierung der Landesfinanzen ein, insbesondere in welchem Maße dazu Lehrerstellen zu streichen sind. Es gibt aber noch andere Baustellen, an denen die im Land regierenden Polit-Partner die Weichen in unterschiedliche Richtungen stellen möchten.

 

Seit mehr als eineinhalb Jahren etwa puzzeln die Sozialpolitiker an einem neuen Heimrecht herum. Im Juli 2012 hatte das Kabinett die von Sozialministerin Katrin Altpeter (SPD) vorgelegten Eckpunkte für ein „Gesetz für unterstützende Wohnformen, Teilhabe und Pflege“ gut geheißen. Aber erst vergangene Woche einigten sich die Sozialarbeitskreise von Grünen und SPD auf Kompromissformeln. Das Gesetz soll nun im Februar erneut ins Kabinett.

Ziel der gesetzlichen Regelung soll sein, „die Teilhabe und Selbstorganisation der Menschen in den Pflege- und Behinderteneinrichtungen und in der Gesellschaft“ zu fördern. Insbesondere will man „die Bildung gemeinschaftlicher, selbstbestimmter Wohnformen älterer, behinderter und pflegebedürftiger Menschen unterstützen“, so die Ministerin im Juli 2012 bei der Vorstellung der Eckpunkte.

Lieber mehr Kontrolle oder weniger?

Darüber wie das Ziel erreicht werden soll, gehen die Meinungen aber auseinander. Die Grünen legen vor allem Wert darauf, dass sich neue Wohn- und Lebensformen neben der klassischen Heimunterbringung herausbilden können, etwa Wohngemeinschaften von Betroffenen. Sie sehen deren Entwicklungschancen aber beeinträchtigt, wenn innovative Modelle von gesetzlichen Vorschriften bevormundet und bürokratischen Formalismen eingeengt würden. Amtliche Aufsicht ist in dieser Sichtweise nachrangig.

Das sieht die Sozialministerin anders. Altpeter kommt aus dem Pflegeberuf und will die Qualitätsstandards überall durchgesetzt wissen. Aus bürgerschaftlichen Wohnmodellen seien inzwischen durchaus veritable Geschäftsideen geworden, die von ökonomischen Interessen geleitet werden und somit durchaus einer gewissen Kontrolle bedürfen, so die Ministerin.

Maximal acht Bewohner

Im nun von beiden Seiten gefundenen Kompromiss werden auch „ambulant betreute Wohngemeinschaften“ durch das neue Gesetz erfasst, „wenn auch nur in eingeschränktem Umfang“. In einer solchen WG können die Bewohner frei wählen, welche Pflegeleistungen sie in Anspruch nehmen wollen. Eine Präsenzkraft muss anwesend sein. Zudem muss die Wohnung pro Person wenigstens 25 Quadratmeter bieten. Weiter darf sie nicht mehr als acht Bewohner haben.

Diese Zahl war seitens der Leistungsanbieter umstritten. Es wurde gefordert, zwölf Personen für eine WG zuzulassen, sonst sei sie wirtschaftlich nicht zu betreiben. Das bezweifeln die Sozialministerialen. Wenn eine solche Wohngemeinschaft gegründet wird, muss dies bei der Aufsichtsbehörde gemeldet werden. Auch ist zu benennen, welche Helfer für welche Bewohner verantwortlich sind.

Im Ministerium glaubt man nicht, dass solche Maßgaben die Bildung neuer Wohngemeinschaften, etwa für demenzkranke Menschen verhindere. Vielmehr ermöglichten die gesetzlichen Vorgaben „sehr viel Flexibilität“. Auch demenzkranken Menschen stehe „ein Zusammenleben in einer Wohngemeinschaft offen, gestützt auf Versorgungsleistungen ambulanter Dienste, Hilfen von Angehörigen und ehrenamtlich engagierten Personen“.

Bestandsschutz für bestehende WGs

Wichtig für die im Land bereits im Land bereits etablierten WGs, etwa in Ostfildern, Kirchheim oder Eichstetten: die neuen Regelungen gewähren ihnen Bestandsschutz.

Prinzipiell sieht das neue Heimrecht je nach Wohnform abgestufte Anforderungen vor. Strengere Maßgaben gelten für stationäre Einrichten, also Alten-, Pflege- oder Behindertenheime. Einige Träger haben bei der Anhörung zu dem Gesetzentwurf schon beklagt, es würden zu viele Vorschriften gemacht. Für ambulant betreute Wohnformen gelten die sanfteren Aufsichtsregeln. Betreutes Wohnen und selbstverantwortetes gemeinschaftliches Wohnen unterliegt dem Heimrecht überhaupt nicht. „Je weniger der Einzelne über seine Wohn- und Lebensform selbst bestimmen kann, desto stärker wird die Qualität in der Pflege von der Aufsicht überprüft“, so die Ministerin Altpeter.