Deutsche Kontrolleure chinesischer Produktionsstätten fürchten, in China als Spione behandelt zu werden. Firmen bangen um für den Import notwendige Zertifizierungen.

Berliner Büro: Norbert Wallet (nwa)

Der deutsche Arzneimittelmarkt ist stark abhängig von China. 22 Prozent aller Wirkstoffe kommen von dort. Solche Abhängigkeiten sind heikel, denn die Lieferkette ist lang und durchaus anfällig für Störungen. Produktionsausfälle in einem chinesischen Werk können rasch zu Engpässen auf den europäischen Märkten führen. Solche Fälle gehören zum Alltag der Branche. Das betrifft dann einzelne Produkte. Nun aber stehen die heimischen Pharmafirmen vor einem Problem, das den gesamten Wirkstoffimport aus China angeht – und es ist nicht technischer Art, sondern handfest politisch.

 

Darum geht es: China hat seine Gesetze zur Abwehr von Ausspähung drastisch verschärft. Im Juli 2023 trat das neue Spionageabwehr-Gesetz in Kraft, im Mai dieses Jahres das „Staatsgeheimnis-Gesetz“. Auf dieser Grundlage können nicht nur Spionageverdächtige an der Ausreise aus China gehindert werden. Es wurde auch der Geltungsbereich auf sogenannte „Arbeitsgeheimnisse“ ausgeweitet. Ein schwammiger Begriff, der Informationen umfasst, die zwar keine Staatsgeheimnisse sind, aber bei Bekanntwerden „nachteilige Auswirkungen“ für China haben könnten.

Regelmäßige Inspektionen sind gesetzlich vorgeschrieben

Klingt sehr abstrakt, hat aber für die Pharma-Industrie höchst praktische Folgen. Um die Sicherheits- und Qualitätsstandards zu kontrollieren, gibt es eine rege Reisetätigkeit von Prüfern. Dafür gibt es einen doppelten gesetzlichen Auftrag. Das Arzneimittelgesetz verpflichtet die deutschen Behörden, die Produktionsstätten regelmäßig zu inspizieren. Die Prüfung führt dann zur Ausstellung einer GMP-Zertifizierung, das steht für „good manufacturing practice“. Das ist der Nachweis, dass sich die Produktionsstätte an Regelwerke und Vorgaben zur Qualitätssicherung hält. Dieses Zertifikat ist für die deutschen Firmen eine Bedingung, um Wirkstoffe aus China importieren zu dürfen. Zudem sind aber auch die Unternehmen selbst verpflichtet, die Betriebsstätten ihrer Lieferanten zu besichtigen und die Einhaltung der gesetzlichen und vertraglichen Regelungen zu überprüfen.

Überprüfungen kommen derzeit zum Erliegen

Das alles ist gängige Praxis. Bisher jedenfalls. Denn die Überprüfungen kommen derzeit zum Erliegen. Der Grund ist klar: Die Inspekteure, ob staatlich oder firmenseitig, müssen sich durch einen Berg von Papieren und Dokumenten pflügen, Kopien erstellen und gegebenenfalls mit nach Deutschland nehmen. Es geht die Befürchtung um, dass chinesische Stellen die so erworbenen Kenntnisse als „Arbeitsgeheimnisse“ im Sinne des neuen Gesetzes einstufen könnten. Vom Prüfer zum Spion – das könnte in einem autoritärem Staat wie China nur ein kleiner Schritt sein.

Für die behördlichen Prüfungen sind in Deutschland zumeist die Regierungspräsidien zuständig. Der Branchenverband „Pharma Deutschland“ berichtet, dass in vielen Bundesländer keine Zertifizierungsprüfung mehr vorgenommen wird. Die Expertin für GMP-Zertifizierungen bei Pharma Deutschland, Fatima Bicane, sagte unserer Zeitung: „Wir hören von Mitgliedern überall aus Deutschland, dass die für sie zuständigen Inspektorate ihre Zertifizierungen in China bis auf Weiteres ausgesetzt haben.“

Diese Verzögerung kommt für die Versorgungssicherheit in Deutschland einer tickenden Zeitbombe gleich. Fatima Bicane nennt die Situation „besonders besorgniserregend“. Der Grund: Bereits während der Pandemie stockten die Prüfungen. Da die Zertifikate aber in einem bestimmten Rhythmus erneuert werden müssen, droht spätestens zur Jahreswende eine sehr schwierige Situation. „Die Inspektionsaktivitäten in China müssten eigentlich intensiviert werden“, sagt Fatima Bicane. „Inspektoren sollten jeden Tag in China sein, um diesen Rückstand aufzuholen und möglichen Engpässen zuvorzukommen.“

Verband wendet sich an die Bundesregierung

Der Verband hat sich hilfesuchend an die Bundesregierung gewandt. Hauptgeschäftsführerin Dorothee Brakmann spricht von einem „bislang schwierigen Weg zu einer Lösung“. Ein erster Schritt wäre aus ihrer Sicht, „ dass ein Bundesministerium die Federführung übernimmt in Kooperation mit den Ländern“. Es müsse in China verstanden werden, „dass die Zertifizierungen im gegenseitigen wirtschaftlichen Interesse stattfinden und nichts mit Spionage zu tun haben.“

In Baden-Württemberg ist das Regierungspräsidium Tübingen mit den Prüfungen beauftragt. Auf Anfrage unserer Zeitung heißt es dort, man prüfe derzeit die Durchführung einer GMP-Inspektion in China. Dabei gehe es auch um „Fragen zur persönlichen Freiheit und Sicherheit der mit der Überwachung beauftragten Personen“.