Die Abschiedsbühne ist bereitet – noch einmal bekommt Philipp Lahm an diesem Samstag in München die Meisterschale überreicht. Ein würdiger Abschluss einer großen Karriere.

Sport: Marco Seliger (sem)

Stuttgart/München - Der Tiger wurde bissig, und der Tiger hatte genug. Noch ein Jahr dritte Liga für diesen überragenden Kerl? Ja sind die denn hier alle bekloppt? Hermann Gerland verstand beim FC Bayern München im Sommer 2003 die Welt nicht mehr. Er pries seinen Schützling aus der zweiten Mannschaft bei so ziemlich jedem höherklassig arbeitenden Trainerkollegen an, den er kannte. Er sprach von genauen Pässen und dem Antizipieren von Situationen. Von der mühelos aussehenden und effizienten Zweikampfführung. Vom Gespür für den Raum. Und davon, dass sein Junge vom FC Bayern hinten links, hinten rechts und sogar auch vor der Abwehr spielen kann. „Vielleicht nur nicht im Tor, weil Philipp da wohl nicht an die Latte kommen würde“, ergänzte Hermann Gerland.

 

Felix Magath holt Lahm 2003 zum VfB Stuttgart

Genau ein Mann hörte auf Gerlands Rat. Er hieß Felix Magath, war Trainer des VfB Stuttgart und holte den kleinen, jungen Burschen im Juni 2003 für zwei Jahre auf Leihbasis zum VfB.

So begann eine Weltkarriere, die an diesem Samstag endet. Ein Heimspiel noch in Münchens Arena. Kurz vor dem Anpfiff gegen den SC Freiburg die Ehrung zum Abschied, wahrscheinlich mit Blumen, vielleicht mit Tränen. Und hinterher gibt es die Meisterschale. Zum achten Mal. Philipp Lahm, der Rekordmann. Philipp Lahm, der Weltmeisterkapitän, Champions-League-Sieger, Pokalsieger. Philipp Lahm, die fleischgewordene Perfektion auf dem Platz. Der Mann, der Maßstäbe setzte. Mit ebendiesen Fähigkeiten, über die Hermann Gerland einst schon mit Felix Magath redete, als Lahm noch in der Zweiten des FC Bayern kickte.

Der Tiger übrigens war sich seiner Sache schon damals sicher. „Meine Frau hat mich mal gefragt, ob ich mich da nicht vertue“, sagt Gerland heute im Rückblick: „Da habe ich ihr gesagt: Hör auf, wenn das kein Superspieler wird, dann gebe ich meine Lizenz zurück und werde Volleyball- oder Wasserballtrainer.“ Gerland ist heute Co-Trainer der Bayern-Profis. Und das Ausnahmetalent Lahm wurde tatsächlich zum Superspieler. Er startete durch. Auf dem Platz – und auch außerhalb.

Lahm entwickelt sich zum Wortführer

Lahm entwickelte sich zum Weltklassemann und zum Wortführer – auf seine Weise. Nicht mit dem Dampfhammer, so wie das die alteingesessenen Leitwölfe wie Breitner, Matthäus, Effenberg oder Kahn einst machten. Lahm verkörperte den modernen Zeitgeist mit flachen Hierarchien – und gewann auf allen Ebenen. All jene, die ihn ob seiner Körpergröße (1,70 Meter) und der sanften Bubenstimme gerne mal verspotteten, standen am Ende als Verlierer da.

So wie Michael Ballack, der auch ein Vertreter der alten Schule war. Er verpasste die WM 2010 in Südafrika verletzt, Lahm wurde Kapitän. Und er blieb es, obwohl das Alphatier Ballack danach die Zähne fletschte und wieder in sein Revier eindringen wollte.

Sich mit Bedacht durchsetzen, mit Weitblick agieren, sich geschickt positionieren, für jede Situation einen Plan haben – so wie er auf dem Platz agierte, gab sich Lahm auch außerhalb. Ein Stratege durch und durch – auch wenn es um seine eigenen Interessen ging. Lahm lebte seine Unabhängigkeit. Im Jahr 2009 etwa prangerte er in einem Interview mit der „SZ“ die Transferpolitik und die fehlende Spielphilosophie des FC Bayern an und bekam 50 000 Euro Strafe aufgebrummt. Mittelfristig erreichte Lahm aber sein Ziel – die Bayern entwickelten sich in den folgenden Jahren in die von ihm gewünschte Richtung. Die er nun beim Rekordmeister sofort nach dem Karriereende hätte aktiv mitgestalten können.

Der Bayern-Kapitän ist immer sein eigener Herr geblieben

Doch unter dem Alphatier-Duo Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß als Sportchef und nicht als Sportvorstand auf Augenhöhe nur den Bückling zu geben, wäre nichts für einen wie Lahm. Er lehnte das Angebot ab, weil er sein eigener Herr bleiben will – immer. Nun will Lahm ab dem Sommer verstärkt in den Unternehmen einsteigen, an denen er schon jetzt beteiligt ist. Er bastelt an der Karriere nach der sportlichen Laufbahn – die er aus freien Stücken und zum allgemeinen Bedauern beendet. Wie schon einmal, als er im Jahr 2014 als Weltmeisterkapitän in der Nationalelf aufhörte.

Noch spielt Lahm (33) auf Weltklasseniveau – und auf ebendem wollte er Schluss machen, trotz laufenden Vertrags beim FC Bayern bis 2018. Bei Lahm wird man deshalb wohl schon bald sagen: Mensch, der fehlt. Und eben nicht: Mensch, hätte der nur mal früher aufgehört. Es ist eine Kunst, die nur wenige Sportstars so hinbekommen.

Jetzt warten also erst mal andere Aufgaben auf Lahm, der bald zum zweiten Mal Vater wird – als Hausmann etwa. Darauf angesprochen, ob er künftig daheim auch mal kochen werde, sagt er: „Ich habe vor, mich in die Aufgaben einzuarbeiten. Aber meine Frau hat ein bisschen Angst davor.“