Der eine kehrt auf seine alte Position zurück, der andere wird von der Startelf auf die Ersatzbank versetzt: Philipp Lahm und Per Mertesacker haben neue Aufgaben im DFB-Team. Ob Bundestrainer Löw auch im Halbfinale gegen Brasilien bei dieser Taktik bleibt?

Campo Bahia - Am Schluss muss Per Mertesacker sogar noch beim Gegner moralische Aufbauarbeit leisten. Seine Mitspieler sind schon längst in der Kabine, als der lange Innenverteidiger den Arm um den Franzosen Laurent Koscielny legt und das Spielfeld des Maracana-Stadions verlässt. Viel Trost spendet Mertesacker seinem Kollegen vom FC Arsenal, der gerade aus der WM ausgeschieden ist und den Kopf hängen lässt. Wahrscheinlich sagt er Dinge wie: Sieh es positiv, Laurent, jetzt kommst du früher in den Urlaub.

 

Für Mertesacker selbst geht die Arbeit nach dem Einzug ins WM-Halbfinale noch eine Woche weiter – und eigentlich hätte auch er ein bisschen Trost nötig. Denn vom Stammspieler ist er zum Reservisten geworden, dessen Hauptaufgabe darin besteht, den Spielern auf dem Platz gut zuzureden und ihnen das Wasser zu reichen. Vier WM-Spiele lang hatte er in der Startelf gestanden, ehe ihn der Bundestrainer Joachim Löw am Tag vor dem Frankreichspiel zum Einzelgespräch bat.

Er werde die Innenverteidigung umbesetzen, eröffnete Löw dem Routinier – und traf offenbar auf überraschend viel Verständnis. Nach dem Spiel berichtet der Bundestrainer davon, dass Mertesacker „super reagiert“ habe: „Er hat gesagt: Ganz klar, Trainer, ich weiß, wie ich der Mannschaft helfen kann.“ Das habe der 29-Jährige in der Kabine und am Spielfeldrand getan. „Eine Supereinstellung“, attestierte ihm Löw. Wahrscheinlich hat sich Mertesacker daran erinnert, was er schon vor Turnierbeginn gefordert hat: dass sich diesmal jeder in den Dienst der Mannschaft stellen müsse, anders also als bei der EM 2012.

Mertesacker: „Man muss ab und zu mal zurückstecken“

Mit gutem Beispiel geht er nun voran, auch wenn man davon ausgehen kann, dass ihm das nicht leichtfällt. Eine weitere WM wird er kaum spielen können. „Man muss ab und zu mal zurückstecken“, sagt er trotzdem: „Man muss Dinge gönnen und denen, die spielen, ein gutes Gefühl geben.“

Die Zeit der persönlichen Interessen ist nun also endgültig vorbei – es gilt einzig, im Dienste der Allgemeinheit zu handeln. Das betraf gegen Frankreich nicht nur Per Mertesacker, sondern auch Philipp Lahm, den machtbewussten Kapitän. Auch er fand sich im Viertelfinale in einer neuen Rolle wieder, die seine alte ist und ihm eigentlich nicht mehr gefällt: als rechter Verteidiger.

Er spiele „dort, wo mich der Trainer hinstellt“, das hatte Lahm seit Wochen gesagt. Doch steht außer Frage, dass er mit einigem Nachdruck um die Position im zentralen defensiven Mittelfeld gebeten hatte, die mehr Bedeutung und Verantwortung verheißt. Bis zum Viertelfinale durfte Lahm dort spielen, zeigte sich jedoch ungewohnt fehlerhaft, während die rechte Außenverteidigung zur noch größeren Problemzone wurde. Eine ausufernde Debatte über die richtige Taktik und die passende Position für den Kapitän war die Folge.

Lahm wird in der Abwehr mehr gebraucht

Gegen Frankreich stellte Löw erstmals um – Lahm kehrte dorthin zurück, wo er zu einem Weltklassespieler geworden war. Er ist in diesem Spiel kein entscheidender Faktor gewesen, auch weiterhin gilt bei dieser WM, dass er in der Vergangenheit schon viel besser gespielt hat. Trotzdem hatte man den Eindruck, dass der 30-Jährige in der Abwehr mehr gebraucht wird als im Mittelfeld. „Ich habe immer gesagt, dass es kein Problem ist, wenn ich woanders spiele“, sagt Lahm hinterher: „Wir wollten diesmal eben Dampf machen über rechts.“

Keine Grundsatzentscheidung sei Lahms Rückversetzung gewesen, sagt Joachim Löw, sie habe lediglich als „taktisches Element“ gedient: „Wir wussten, dass Frankreich im Zentrum wahnsinnig gut steht. Deshalb mussten wir über die Außen kommen.“ Dennoch kann man davon ausgehen, dass Lahm auch gegen Brasilien in der Abwehr bleibt – zumindest dann, wenn die Mittelfeldspieler Sami Khedira und Bastian Schweinsteiger einigermaßen aufrecht gehen können.

Auch Per Mertesacker dürfte nichts anderes übrig bleiben, als sich mit seiner neuen Rolle anzufreunden und seinen Konkurrenten Mats Hummels und Jérôme Boateng bei der Abwehrarbeit zuzuschauen. Er versucht, es positiv zu sehen, und sagt: „Weltmeister wird man nicht nur auf dem Platz, sondern auch auf der Bank.“