Bis zu 3000 Meter hoch türmen sich die Eismassen auf Grönland. Doch sie schrumpfen immer schneller. Manfred Stober, Professor an der Hochschule für Technik in Stuttgart, ist auch als Ruheständler noch bei internationalen Messkampagnen dabei.

Stuttgart - Die Eisflächen der Erde schmelzen. Vom Rand der Antarktis brechen große Eisberge ab, in der Arktis und auf Grönland schrumpfen die Eisflächen mess- und zum Teil auch sichtbar. Es gebe Menschen, die sich darüber freuen, sagt Manfred Stober. Schließlich tun sich neue Schifffahrtsrouten auf. Aber global sind die Folgen beunruhigend. Stober beobachtet seit Jahrzehnten den Rückgang der Eismassen auf Grönland.

 

Als Professor für Vermessung und Geoinformatik an der Hochschule für Technik in Stuttgart ist er längst im Ruhestand. Doch erst 2011 war er wieder an einer internationalen Messkampagne auf dem grönländischen Eis beteiligt. Am Dienstag berichtete er in der Veranstaltungsreihe „Fragen an die Wissenschaft“ im Treffpunkt Rotebühlplatz über seine Erfahrungen aus vierzig Jahren Polarforschung.

Stober ist nicht nur besorgter Wissenschaftler. Er ist auch leidenschaftlicher Freund der eisigen nordischen Landschaften und ihrer Menschen. 1968 war er zum ersten Mal auf Grönland. Seit 1991 hat er an elf Kampagnen teilgenommen, in denen die Höhe und die Fließgeschwindigkeit der Eismassen vermessen wurden. Solche Messungen nutzen heute die Satellitenortungstechnik GPS. In den Anfangsjahren war viel Handarbeit nötig. Bei monatelangen Aufenthalten werden mit Heißdampfbohrern Aluminiumstäbe fünf bis sechs Meter tief im Eis versenkt und sorgfältig vermessen. Beim nächsten Besuch zwei Jahre später ergibt die erneute Messung eine neue Position. Ein Referenz-Messpunkt wird an der Küste auf festem Grund angelegt, wo sich nichts bewegt.

Das Eis schmilzt immer schneller

Die Ergebnisse sind eindeutig und durch viele andere Forschungen bestätigt: die bis zu 3000 Meter hohen Eisberge im Zentrum der gewaltigen Insel sind zwischen 1991 und 2011 um durchschnittlich zehn Meter geschrumpft. Der Trend beschleunigt sich. Anfangs schwanden 25 Zentimeter Höhe im Jahr, seit 2006 sind es 100 Zentimeter. Nicht die Zahl sei das eigentlich Bedrohliche, sagt Stober, sondern die Beschleunigung.

Der gewaltige Druck von 3000 Meter Eis bringt die gefrorene Masse zum Fließen. Mit 32 Zentimeter pro Tag bewegt sie sich vom Zentrum in Richtung Küste. Was dort abbricht und als Eisberg ins Nordmeer treibt, wird zum Teil durch Neuschnee im Inneren ersetzt. 175 Gigatonnen Eis verliert Grönland pro Jahr. Allein dadurch steigt der Meeresspiegel um einen halben Millimeter im Jahr (von insgesamt derzeit 3,2 Millimeter). Würden Grönlands Eismassen – sie machen ein Zehntel der Eisvorräte der Erde aus – vollständig schmelzen, stiege der Meeresspiegel um 7,2 Meter. Bis dahin würden allerdings nach Berechnungen des Weltklimarats IPCC 53 000 Jahre vergehen – vorausgesetzt, die Erderwärmung bliebe auf zwei Grad beschränkt. Würde die Erde sich global um sechs Grad erwärmen, wäre das grönländische Eis in 3000 Jahren verschwunden.

Schon jetzt werden im Süden der Insel Kartoffeln angebaut. Wenn im Juni Blumen blühen, die stark an die Alpenflora erinnern, versteht man, warum die Wikinger im achten Jahrhundert die Insel grünes Land genannt haben. Der Süden mag auch in der Vergangenheit grün gewesen sein. Doch Stober zeigte die Messdaten des Weltklimarats: So viel Treibhausgas wie heute gab es in der Atmosphäre seit 800 000 Jahren nicht.

Stober reist zu seinen Messkampagnen alle zwei Jahre in die drittgrößte Stadt Grönlands. Sie heißt Ilulissat, auf dänisch Jakobshavn. Der Ort ist bei Kreuzfahrern beliebt: Hier, am Ende eines Fjords, sammeln sich ganzjährig Eisberge des mächtigen Ilulissat-Gletschers zu einer bizarren Kulisse. Darin steckt eine beruhigende Nachricht, die Stober bereithielt: die Gefahr, dass gewaltige Eismassen mit einem Schlag ins Meer rutschen, hält er auf Grönland nicht für groß. Die Landschaft formt viel schmalere Eisströme, als in der Antarktis entstehen können. Dort können Hunderte von Kilometer breite Eisfronten mit einem Schlag abbrechen. Dann steigt der Meeresspiegel vergleichsweise schnell.