Die Nähe zur Schweiz ist dem Polizeirevier von Weil am Rhein zum Verhängnis geworden. Immer mehr Asylbewerber steuern die Wache gezielt an – zum Teil instruiert vom Schleusern. Für die Revierleiterin ein Dilemma, weil viel Arbeit liegen bleibt.

Weil am Rhein - Ganz eng kauern sie beieinander, in der Mauerecke, die von der Vormittagssonne gewärmt wird. Drei junge Männer und zwei junge Frauen aus Eritrea, ihre Gesichter sind gezeichnet von der Erschöpfung einer langen Reise, ihre zarten Körper sind fest eingewickelt in Wolldecken, die sie gereicht bekommen haben, um die Kälte der Nacht zu überstehen. Neben ihnen sitzen Mohammed und Ahmed, zwei 17-jährige Schwarzafrikaner, sie kämpfen mit einem Kugelschreiber. „Wir sind glücklich, wir sind am Ziel“, sagt Mohammed in holprigem Englisch und beugt sich über einen Fragebogen, den er ausfüllen soll. „Sudan“ schreibt er darauf, seine Finger wollen noch nicht so recht. „Vor drei Monaten und 20 Tagen bin ich in Darfur in den Bus gestiegen, ich habe es überlebt.“

 

Schon seit Wochen ist die Polizeiwache in Weil am Rhein umlagert von Flüchtlingen aus aller Welt – die Nähe zur deutsch-schweizerischen Grenze ist ihr zum Verhängnis geworden. Längst kursieren in Schleuserkreisen Zettel mit der Adresse der Wache, einer Wegbeschreibung und einer Aufnahme des roten Sandsteingebäudes – fotokopierte Kurzanleitungen fürs Asyl in Deutschland.

Für die Revierleiterin Kathrin Mutter ein Dilemma: „Wir sind keine Aufnahmestelle für Flüchtlinge“, sagt die Polizeirätin, „und doch haben wir schon überlegt, ob wir Container für die Übernachtung aufstellen sollen.“ Die 37-Jährige sitzt in ihrem Büro im ersten Stock, sie wirkt, als wäre sie froh darüber, dass ihre Nöte Gehör finden. „Ich hole meine Leute laufend aus der Freizeit, wir haben eine gute Truppe – sonst würde das hier gar nicht mehr gehen“, erzählt sie.

Trotz der höchsten Kriminalitätsbelastung im Land chronisch zu wenig Personal

Fast 500 Asylsuchende haben sie dieses Jahr schon registriert, 2015 seien es 388 gewesen, erzählt Kathrin Mutter, und keiner wisse, wie viele noch kommen. Dabei hätten sie als Polizeirevier mit der höchsten Kriminalitätsbelastung in Baden-Württemberg allemal anderes tun und schon dafür viel zu wenig Personal. Das Revier sei leider chronisch unterbesetzt. „Die Bürger beschweren sich schon seit einiger Zeit“, sagt die Revierleiterin, „wir fahren keine Präsenzstreifen mehr, im Hinterland ist die Polizei kaum mehr zu sehen.“

Wenn sich die Wellen des Mittelmeers beruhigt haben und sich das Wetter in Südeuropa von seiner sonnigen Seite zeigt, dann nimmt der Andrang im Weiler Revier zu. Dann steigen sie wieder zu Tausenden in Libyen in die überfüllten Boote, kommen wie Mohammed und Ahmed in Sizilien an und machen sich auf den mühsamen Weg durch Italien und die Schweiz ins Dreiländereck am Rheinknie. „Ich habe mich einfach in den Zug von Bern nach Basel geschmuggelt“, erzählt Mohammed, „von da aus war es nicht mehr weit.“ Die Grenze hätte er gar nicht richtig bemerkt.

Den Fragebogen hat der 17-Jährige notdürftig ausgefüllt und den von seinem Freund Ahmed, der nicht richtig schreiben kann, gleich mit. Mohammed steht im Raum für die erkennungsdienstliche Behandlung, die Hände hinterm Rücken verschränkt, die schwarze Kunstlederjacke ein paar Nummern zu groß. Das Zimmer ist abgedunkelt, es gibt Neonröhren an der Decke und viele Geräte für die Vermessung der Flüchtlinge. Den Raum haben sie in Weil am Rhein extra eingerichtet, früher sind sie dafür nach Lörrach gefahren. Mohammed schaut überall hin, nur nicht in die Digitalkamera. Die Beamten brauchen drei Anläufe fürs Foto, danach werden ihm die Fingerabdrücke in einem Scanner abgenommen – für den Abgleich in der europäischen Datenbank. „Darf ich mich wieder setzen?“, fragt Mohammed, er habe die letzte Nacht nicht geschlafen.

Als Notlösung übernachten die Flüchtlinge in der Sicherheitsschleuse

Es sind die Ankömmlinge der Nacht, die der Revierleiterin die meisten Sorgen bereiten. Sie schiebt ein Foto über den Schreibtisch. Fünf Afrikaner dösen in der Sicherheitsschleuse im Eingangsbereich der Wache, sie hocken auf der Holzbank, einer liegt auf der Gummimatte am Boden. „Die Kollegen müssen morgens zu Dienstbeginn über die Schlafenden steigen“, sagt Kathrin Mutter. Sie weiß, dass das so nicht sein dürfte. „Wir sind verpflichtet, die Leute zur Erstaufnahmestelle nach Karlsruhe zu schicken“, erläutert sie den üblichen Prozess, „aber was sollen wir machen, wenn der letzte Zug gegen 22 Uhr abfährt?“

Immerhin sei es möglich, den einen oder anderen bis zum nächsten Morgen in einer drei Kilometer entfernten Gemeinschaftsunterkunft unterzubringen, der Landkreis toleriere das, obwohl auch er nicht zuständig sei. „Wir arbeiten alle mit Provisorien“, sagt Kathrin Mutter, „so kann das eigentlich nicht weitergehen.“

Vor der Wache warten Mohammed und Ahmed am Nachmittag auf ein Taxi, ihre Registrierung ist beendet. Sie haben von einem der Beamten Sesamriegel geschenkt bekommen, packen sie hungrig aus. Es ist das erste, was sie heute essen. „Wohin geht es jetzt?“, will Mohammed wissen. Die beiden sind minderjährig und ohne Begleitung unterwegs, das Jugendamt wird sich ihrer annehmen. Zuvor müssten sie sich in einer Klinik untersuchen lassen, erklärt ihnen einer der Polizisten. Viel Gepäck haben sie nicht dabei, jeder nur eine leichte Tasche. „Danke“, sagen sie noch zum Abschied, bevor sie in die schwarze Mercedes-Limousine steigen.