In Europa verschieben sich die Kräfte. In immer mehr Staaten sind Rechtspopulisten in der Regierung. Das führt in der EU zu überraschenden Koalitionen.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Europa rückt weit nach rechts. Seit Jahren plagt sich die EU mit den nationalistischen Regierungen in Polen und Ungarn herum. Zuletzt sind auch in Schweden, Finnland oder Italien extrem rechte Parteien in der Regierung angekommen. Diese Entwicklung erklärt den erleichterten Jubel darüber, dass die regierenden Sozialisten in Spanien jüngst nicht wie prognostiziert krachend die Wahl gegen die Konservativen verloren haben. Die Linke hatte mit dem Schlimmsten gerechnet, denn die rechtsextreme Vox stand in Madrid schon als Koalitionspartner bereit. Nun muss die siegreiche Volkspartei ihre Partner für ein Regierungsbündnis in der demokratischen Mitte suchen.

 

Deutschland bewegt sich nach rechts

Sehr genau wird in Europa die tektonische Verschiebung in Deutschland beobachtet. Die politische Landschaft hatte sich erstaunlich lange gegen eine Entwicklung immun gezeigt, die sich in Staaten wie Frankreich seit den 1970er Jahren breitmachte. In Paris ist die Rechtspopulistin Marine le Pen mit ihren weichgespülten Hassparolen inzwischen in der bürgerlichen Mitte angekommen und könnte nach der nächsten Wahl in den Präsidentenpalast einziehen.

Auch die AfD in Deutschland erklärt angesichts der jüngsten Umfrageerfolge bei der nächsten Bundestagswahl einen Kanzlerkandidaten zu präsentieren. Mit ihren Tiraden gegen die EU reiht sie sich ein in die Phalanx der Parteien wie des französischen Rassemblement National, der italienischen Fratelli d`Italia oder der polnischen PiS. Dennoch will selbst in diesen Kreisen der etablierten Rechtspopulisten Europas niemand mit der AfD zusammenarbeiten.

Die AfD steht in der Schmuddelecke

Deutlich wird dies im Europaparlament, wo die Partei durch internen Streit auffällt und ihre Heimat nicht in der rechten EKR-Fraktion findet, sondern in der namens Identität und Demokratie (ID). Diese Gruppe gilt selbst im mit vielen skurrilen Charakteren bestückten EU-Parlament als Schmuddelkind. Ebenso wie die AfD im Bundestag aufgrund des Widerstands der anderen Parteien keinen Vizepräsidenten stellt, wurde auch im EU-Parlament ein Vizepräsident aus den Reihen der ID-Fraktion bisher verhindert.

Manfred Weber beobachtet diesen Rechtsruck in Europa sehr genau. Der CSU-Politiker ist Chef der konservativen EVP-Fraktion und macht sich schon Gedanken darüber, mit welchen Mehrheiten er nach der Europawahl im Juni 2024 politische Projekte realisieren könnte. Und es wird deutlich, dass Weber auf einige Parteien setzt, die deutlich rechts von der EVP zu finden sind.

Ein Mann sammelt seine Truppen

Eine Konsequenz ist, dass der Bayer jetzt beginnt, Kontakte zu möglichen Koalitionspartnern zu knüpfen – und dafür kräftig Prügel einsteckt. Denn während in Deutschland heftig über Brandmauern der CDU zur AfD gestritten wird, umgarnt er Giorgia Meloni, Italiens Premierministerin und Chefin der postfaschistischen Partei Fratelli d’Italia.

Selbst nach Ansicht von Fraktionskollegen überschreitet Weber damit eine rote Linie. „Die Brandmauer nach rechts muss immer stehen - von Palermo bis nach Wattenscheid, von Brüssel bis nach Rom“, betonte jüngst der CDU-Europaabgeordnete Dennis Radtke. Weber kontert die Kritik, dass er als Partei- und Fraktionschef die Ambition habe, dass die EVP nach der Wahl 2024 stärkste Kraft bleibe. Er teile die Sorge, was die Geschichte von Melonis postfaschistischer Partei angehe. Aber ganz grundsätzlich gebe es drei fundamentale Prinzipien in der EVP: pro Rechtsstaat, pro Europa, pro Ukraine. „Meloni ist bei Europa konstruktiv, steht an der Seite der Ukraine, und beim Rechtsstaat gibt es in Italien keine Probleme“.

Macht-Arithmetik im Europaparlament

Webers Strippenzieherei könnte nach der Wahl von größter Bedeutung sein. Wahrscheinlich wird EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für eine zweite Amtszeit antreten, die das Parlament bestätigen muss. Mit großer Sicherheit werden die Stimmen der polnischen PiS-Abgeordneten und ungarischen Fidesz-Parlamentarier fehlen. Der Grund: Ursula von der Leyens Kommission hat den Regierungen in Warschau und Budapest wegen Korruption und Rechtsstaatsverstößen viele Milliarden an EU-Zuschüssen gesperrt. Das heißt, dass bei einer möglichen Wahl der Deutschen jede Stimme wichtig ist – auch die von ganz rechts außen.