Im Jahr 1963 war ihre Zeit dort zu Ende und Inge Kimmerle fest entschlossen, jetzt doch ein bürgerliches Leben zu führen. "Die Tracht mit der Haube passte nicht in mein Weltbild." Es war Silvester und ihr letzter Tag bei den Schwestern. Sie packte in ihrem Zimmer die Sachen zusammen, als etwas passierte, das man nicht erklären kann, nur zitieren: "Gott griff in mein Leben ein und gab mir ein Vollbad seiner Liebe." Wenige Tage später verwandelte sich Inge Kimmerle in Schwester Inge.

Ihr "Lädele" hielt sie noch einmal zurück


Die Diakonissen von Aidlingen, das sind 290 Frauen, die Jesus nachfolgen, ehelos bleiben und ihre Einkünfte für wohltätige Zwecke spenden. Schwester Inge wurde Jugendreferentin und Religionslehrerin, arbeitete in Köln und auf der Schwäbischen Alb. Irgendwann kam sie für ein paar Wochen nach England. Plötzlich krochen Zweifel in die Festung ihrer Gedanken. Ein junger Pfarrer lief ihr über den Weg, dessen Kraftfeld so stark war, dass sie den Orden verlassen und ihre Tracht ablegen wollte. "Es war eine Versuchung", sagt sie. "Aber ich hab's einfach nicht gekonnt."

Seitdem ist Schwester Inge vergeben und mit dem da oben, wie sie sagt, ein Herz und eine Seele. Das Mutterhaus schickte sie 1977 nach Freiburg. Als einzige Diakonin mit Haube in Baden kümmerte sie sich in der Paulusgemeinde um Gestrandete, um Studenten in seelischer Not, um Kranke. Sitzungen, Seelsorgergespräche, Religionsunterricht. Sie wollte es allen recht machen, vor allem ihm, für den sie sich entschieden hatte. "Ich dachte mir, ich müsste mir seine Liebe verdienen", sagt sie. "Ich war immer bereit und hatte Angst vor Fehlern." Fast 13 Jahre ging das so. Schwester Inge überall. Nur bei sich, da war sie selten.

Die nach außen Starke stürzte in eine innere Krise. Sie kam sich vor, als wäre sie aus der Zeit gefallen. Vollkommen ausgebrannt, meldete sich Schwester Inge beim Arzt. Es folgte eine längere Auszeit, begleitet vom inneren Dialog. Sie hinterfragte sich, ihre Prägung, ihre Einstellung. Am Ende stand der Entschluss, Freiburg zu verlassen, um irgendwo anders ein authentisches Leben zu führen. Sie verabschiedete sich von allen, und als sie ihre Koffer packte, kam wie aus dem Nichts ein befreundeter Pfarrer und fragte: "Hättest du nicht Lust, in Freiburg einen Laden zu machen?" Da war es wieder, dieses Gefühl, als würde der Herr eingreifen und den Vorhang wegziehen, der ihr den Blick auf das verstellt hatte, was wirklich zählt.

Schwester Inge blieb und eröffnete ein Geschäft hinterm Bahnhof, in dem es gespendete Antiquitäten gab, Karten, Bücher, Schmuck, Bilder und Kleider, aber auch eine Tasse Espresso, menschliche Wärme und Lebensberatung. "S'Einlädele", wie sie diesen Ort nannte, wurde Kult in Freiburg und darüber hinaus. Hübsch einkaufen und kostenlos ein bisschen Balsam für die Seele, das gab's sonst nirgendwo.

Wie Schwester Inge in Kiew Türen aufstieß


Für die Diakonisse begann die Zeit der kleinen Wunder. Sie scharte ein Team um sich, "das Bodenpersonal Gottes", wie sie sagt. Manchmal kamen verzweifelte Menschen, um mit der Schwester zu beten, weil sie dem Tod ins Auge sahen. Einmal gab jemand einfach so 70.000 Euro ab. Ein andermal kam ein Student und fragte: "Wer hatte eigentlich die Idee zu diesem Laden?" -"Die Idee stammt von oben", antwortete die Schwester. -"Sie meinen vom Hausbesitzer?", entgegnete der Student. - "Nein", sagte Inge Kimmerle, "von ganz oben."