Guido Wolf wird angesichts der desaströsen Umfragewerte nervös. In der Flüchtlingskrise eingezwängt zwischen den Grünen und der AfD kämpft der CDU-Spitzenkandidat gegen den Abwärtstrend – und gegen den populären Amtsinhaber.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Eigentlich soll Guido Wolf Optimismus ausstrahlen an diesem Nachmittag vor dem Stuttgarter Landtag. Hinter ihm steht der Bus mit seinem überlebensgroßen Konterfei auf den Flanken, der ihn in den letzten drei Wahlkampfwochen quer durch Baden-Württemberg fahren wird. Fast jeden der siebzig Wahlkreise will er in der heißen Phase noch einmal besuchen; Wahlen würden schließlich „auf der Zielgeraden entschieden“.

 

Um Wolf herum drängeln sich Reporter, Fotografen und Kamerateams, die ihn teilweise auf der Tour begleiten werden. Von allen Seiten prasseln unangenehme Fragen auf ihn ein: Warum es denn so schlecht laufe im CDU-Wahlkampf? Ob er sich jetzt von der Kanzlerin absetze? Wie weit die Umfragewerte auch von seiner Person abhingen? Der Spitzenkandidat pariert sie alle wacker, aber so ganz überzeugend klingen seine Antworten nicht. Mit demonstrativ hochgerecktem Daumen steigt er schließlich in den Bus.

Woher soll er die Zuversicht auch nehmen nach den Nackenschlägen der vergangenen Tage? Der Schock der jüngsten Umfragen steckt allen Christdemokraten noch frisch in den Knochen. Vorige Woche ist die CDU auf 31 Prozentpunkte abgesackt, zu Beginn dieser Woche liegen die Grünen sogar knapp vor ihr – das schien bisher unvorstellbar. Noch gibt es zwar Optimisten, die weiterhin fest an die Rückkehr zur Macht glauben – oder das zumindest glaubhaft vorgeben. Wolfs Sprecher bei der Landtags-CDU etwa postet auf Facebook gerne Fotos von sich und dem „künftigen Ministerpräsidenten“. Auch die Besetzung der Spitzenpositionen in einem von Wolf geführten Staatsministerium wird intern bereits erörtert: Staatsminister, hört man, solle der Partei- und Fraktionsvize Winfried Mack werden, als Amtschef könne der heutige Landtagsdirektor Hubert Wicker auf seinen früheren Posten zurückkehren.

Wer ist Schuld am Abwärtstrend

Doch die Zahl der Zweifler, ja sogar der allmählich Verzweifelnden wächst. Mit aschgrauen Gesichtern standen die CDU-Abgeordneten vorige Woche im Landtag zusammen und erörterten die jüngsten Umfrageergebnisse: 31 oder gar 30 Prozent – da würden etliche von ihnen nicht mehr dabei sein. Vor allem in den ohnehin wackeligen städtischen Wahlkreisen könnte es eng werden für die CDU-Kandidaten. Selbst ein Ergebnis „mit einer Zwei vornedran“ halten Unionsstrategen nicht mehr für ausgeschlossen – dann wäre die Katastrophe perfekt für die einstige Dauerregierungspartei. Was Wunder, dass die Nervosität steigt und in Panik übergeht.

Schuld an dem Abwärtstrend, da herrscht in der CDU weitgehend Einigkeit, ist nicht in erster Linie der Spitzenkandidat. Der Kurs der Kanzlerin in der alles überlagernden Flüchtlingskrise sei es, der der Partei im Südwesten schwer zu schaffen mache. So fest der Landesverband samt Wolf offiziell zu Angela Merkel steht, so sehr wächst intern der Unmut über ihre „Sturheit“. Die langen Jahre an der Macht hätten sie verändert, analysieren Abgeordnete sorgenvoll. Während der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann bekundet, für Merkel zu beten, hoffen manche CDU-Kandidaten, dass die Kanzlerin einen möglichst weiten Bogen um ihren Wahlkreis macht; ihre neun Auftritte im Wahlkampf gelten nur noch bedingt als hilfreich. Nach allen Seiten sehen christdemokratische Wahlkampfstrategen angesichts der Polarisierung durch die Flüchtlingspolitik ihre Wähler davonlaufen: die liberalen in Richtung der Grünen, die konservativen zu AfD und FDP; die Ratlosen blieben vermutlich ganz zu Hause. Schon erntet Wolf Mitleid aus den eigenen Reihen: Der Arme habe „die A. . .karte gezogen“, sein überraschender Triumph über den Landesparteichef Thomas Strobl bei der Mitgliederbefragung münde nun in eine Art Opfergang.

Aber Wolf wird auch persönlich für die schlechten Werte verantwortlich gemacht. In Rheinland-Pfalz, heißt es, leide die CDU genauso unter der Flüchtlingskrise, stehe mit der omnipräsenten Spitzenkandidatin Julia Klöckner aber immer noch besser da. Ein steter Stachel sind die unerreichbar hohen Beliebtheitswerte von Kretschmann. Selbst viele CDU-Anhänger sähen ihn lieber als Ministerpräsidenten als den eigenen Vormann. „Wäre Kretschmann bei der CDU, hätten wir 60 Prozent“, schrieb dieser Tage ein einflussreicher, sehr unionsnaher Wirtschaftsfunktionär auf Facebook. Tatsächlich bewege man sich Richtung „Splitterpartei“ – „unglaublich, diese Entwicklung“.

Bei den Landesthemen kann Wolf punkten

Guido Wolf versucht alles, um sich dagegenzustemmen – aber mit überschaubarem Erfolg. In der Flüchtlingspolitik schwankte er lange zwischen Merkel und dem CSU-Chef Horst Seehofer, was er als eigenen, „baden-württembergischen Weg“ auszugeben suchte. Es brachte nichts. Dann, unter dem Eindruck der jüngsten Umfragen, plädierte er zusammen mit Klöckner für einen härteren Kurs, mit tagesaktuellen Flüchtlingskontingenten. Die Kanzlerin blieb unbeeindruckt, ausgerechnet Unionsfraktionschef Volker Kauder – Wolfs Bürokollege in Tuttlingen – rief die Abweichler im Morgenfernsehen zur Ordnung. Prompt versicherte der CDU-Spitzenkandidat, er habe Merkel mit seinem Vorstoß doch nur unterstützen wollen; es gebe gar keinen Dissens. Ein Eiertanz. Glaubwürdigkeit oder Profil entsteht so nicht. Auch Wolfs Angriffe auf die grün-rote Landesregierung, die nicht konsequent genug gegen den Zustrom vorgehe, verfangen nicht recht. Als Hauptverantwortliche wird die CDU-Chefin und Kanzlerin wahrgenommen, mit der Kretschmann den Schulterschluss übt. Schon wurden im Landesvorstand Forderungen laut, Merkel solle sich endlich einmal sichtbar von dem Grünen absetzen.

Unverdrossen versucht Wolf, den Blick weg von der Flüchtlingskrise hin zu anderen Themen zu richten. Bildung, innere Sicherheit, Infrastruktur – es gebe, zumal in der originären Zuständigkeit der Landespolitik, so viel Wichtiges, das in diesen Zeiten nicht vernachlässigt werden dürfe. Das stimmt fraglos, und bei den Wahlveranstaltungen gibt es dafür auch Zuspruch. Dort kann der CDU-Spitzenkandidat durchaus punkten, wenn er über grüne Regelungswut oder rote Bildungspolitik herzieht. Wer wollte auch Standardaussagen wie jener widersprechen, Kinderlachen solle wieder „Zukunftsmusik“ sein? Doch so sehr Wolf die Notwendigkeit eines Wechsels beschwört, so wenig vermag er eine Wechselstimmung zu entfachen.

Dem von den Mitgliedern verschmähten Landeschef Thomas Strobl, sind sich die Parteistrategen einig, wäre das unter den gegebenen Umständen auch schwer gefallen. Zudem hätte ihn Grün-Rot ständig mit seiner Rolle als Generalsekretär von Stefan Mappus gequält. Anders als er sei Wolf freilich kein ausgebuffter Berliner Politprofi, und das merke man immer wieder – positiv wie negativ. Selbst auf der Landesbühne spielte der einstige Tuttlinger Landrat lange nur eine Nebenrolle. In der Fraktion galt er eher als Außenseiter, der sich keinem Lager zurechnen ließ.

Wolf möchte als Mann der Wirtschaft gesehen werden

Sein Ehrgeiz erwachte erst, als er im Herbst 2011 als Spätfolge der Mappus-Turbulenzen unverhofft zum Landtagspräsidenten aufstieg. Das Repräsentationsamt nutzte er unermüdlich, um sich im Land bekannt zu machen – als ein über den Parteien stehender Politiker, der das Parlamentsgeschehen in launige Verse fasste und auch über sich selbst Witze machte. Das gefiel den Leuten. Schwerer tat sich Wolf mit dem Rollenwechsel zum CDU-Fraktionschef, von Ausgleich auf Angriff: Seine Attacken wirkten oft aufgesetzt, seine Aufregung zuweilen gekünstelt. Nun, im Wahlkampf, muss er wieder in eine neue Rolle schlüpfen: die des „Landesvaters“.

Noch hat er da kein klares Profil gefunden. Mit seinen beruflichen Stationen als Richter, Referatsleiter im Staatsministerium, Bürgermeister in Nürtingen und Landrat in Tuttlingen ist der 54-jährige Jurist ein Mann der Verwaltung und der Kommunen. Dort, im kommunalen Bereich, liegt seine Machtbasis. Er bringe allemal das Rüstzeug mit, ein guter Ministerpräsident zu werden, bescheinigen ihm ältere CDU-Granden.

Aber Wolf möchte auch als Mann der Wirtschaft gesehen werden. Immer wieder nennt er als Vorbild Lothar Späth und den Innovationsgeist, den dieser in Baden-Württemberg entfacht habe. Der Südwesten als „smart valley“, als Vorreiter bei der Digitalisierung – das zeichnet er als Vision. Es müsse Schluss sein mit „Trägheit und Behäbigkeit“, forderte er dieser Tage beim CDU-Wirtschaftsrat. Die Anspielung galt offenkundig Winfried Kretschmann, doch selbst im Unternehmerlager hat der grüne Regierungschef viele Fans, wie Berliner Funktionäre eines Mittelstandsverbandes diese Woche bei einem Treffen in Stuttgart erstaunt feststellten. Ob er wirklich zum „Wirtschaftsversteher“ geworden ist? Es wird ihm sichtlich abgenommen.

Kretschmann gilt einfach als authentisch, bis hin zur Schrulligkeit. Wer Wolf ist und wofür er steht, erschließt sich hingegen nicht ohne Weiteres. Mal erscheint er als Vertreter des ländlich-konservativen Flügels der CDU, dem er fraglos entstammt, dann wieder gibt er sich überraschend modern. Zuweilen wirken seine Auftritte seltsam clownesk, haben etwas Koboldhaftes. Als „Meister Eder und sein Pumuckl“ werden der grüne Amtsinhaber und sein schwarzer Herausforderer bespöttelt. Umso zufriedener waren die CDU-Strategen, wie gut sich Wolf bei den bisherigen Duellen mit Kretschmann geschlagen hat: Die allseits konstatierte „Augenhöhe“ sei nicht unbedingt zu erwarten gewesen.

Am ersten Tag von Wolfs Bustour, abends beim Wirtschaftsrat, geht es um Unternehmensgründer und den in Deutschland unterentwickelten Mut zum Scheitern. Man brauche eine „Kultur der zweiten Chance“, predigt der Kandidat. Er selbst hat, aller Voraussicht nach, nur eine einzige. Gelingt es ihm, die CDU am 13. März trotz widriger Umstände zurück an die Macht zu führen, wird alles Gemurre verstummen; dann ist er der König der Partei. Scheitert er, wird die Landesgeschichte schnell über ihn hinweggehen.