Den Fotografen Martin Schoeller interessiert der Gesichtsausdruck in flüchtigen Momenten. Eine Ausstellung in Berlin zeigt seine Bilder.  

New York - Eigentlich will Martin Schoeller schon längst Feierabend machen. Die Rushhour draußen auf der Hudson Street ist vorbei und die Abendsonne färbt den Himmel über Manhattan jetzt lila und orange. Aber in Schoellers Studio in einem alten Kontor im Stadtteil TriBeca, keinen Kilometer vom Ground Zero entfernt, herrscht noch Hochbetrieb. Erst am Vormittag ist der Frankfurter Fotograf, der seit 18 Jahren hier lebt, von einer Reportagereise an der mexikanischen Grenze zurückgekommen. Fieberhaft drucken seine Assistenten Abzüge aus - Nachtbilder von Flüchtlingen zumeist, die sich durch die Wüste nach Kalifornien stehlen. Am Samstag Morgen soll Schoeller seinen Redakteuren beim "New Yorker", dem, wie er findet, "besten Magazin der Welt" eine Auswahl vorlegen. Mittags hat er dann einen Shoot mit der Popsängerin Katy Perry. Und für den Tag danach will noch eine Sitzung mit Kunst-Megastar Jeff Koons organisiert werden. "Bin gleich da", ruft er aus dem Hinterzimmer, während er Ausdrucke mit Filzstift markiert, telefoniert, Anweisungen gibt. 20 Minuten dauert das dann noch.

 

Die amerikanischen Magazine laufen ihm nur so hinterher - "Vanity Fair", "Rolling Stone", "GQ", "Esquire" - alle wollen Schoeller. Es gibt kaum einen US-Prominenten, der nicht vor seiner Linse gesessen hat: von Jack Nicholson bis Clint Eastwood, von Angelina Jolie bis George Clooney, von Quentin Tarantino bis Barack Obama. Schoeller kriegt sie alle. Am plastischsten illustriert seinen Status in der Fotowelt die Tatsache, dass er Hausfotograf beim "New Yorker" ist, dem Magazin, das seit 85 Jahren literarisch und künstlerisch den Geschmack der kulturellen Elite der USA bildet. Sein Vorgänger dort war der große Richard Avedon, der die moderne Porträtfotografie geprägt hat wie kaum ein anderer.

Martin Schoeller ist derzeit einer der erfolgreichsten Fotografen überhaupt. Doch bis auf die Überlastung merkt man ihm den Erfolg nicht an. Allüren zeigt er nicht. Mit seinen filzigen Rastalocken und seinem lumpigen, verschwitzten T-Shirt wirkt er trotz seiner 43 Jahre eher wie ein Student. Und als er von einem seiner Assistenten ein Sixpack Bier holen lässt und zu plaudern beginnt, entsteht im Nu eine Vertrautheit, als säße man in einer Kneipe im Frankfurter Nordend zusammen und nicht in einem Loft im Nachbarhaus von Robert De Niro. Was auch daran liegt, dass der Frankfurter Bub in ihm quicklebendig ist: "Ei sischä", sagt er auf die Frage, ob er denn noch Frankfodderisch spricht. Erst vergangene Woche habe er seine Mutter besucht.

"Es gibt heute so viele Fotos, die völlig austauschbar sind"

Wenn Martin Schoeller von Fotoshootings erzählt, bei denen die Berater seiner Subjekte alles kontrollieren wollen - Make-up, Gesichtsausdruck, Hintergrund, Kostüm - dann kann er sich in Rage reden. "Es gibt heute so viele Fotos, die völlig austauschbar sind", sagt er. "Bei den meisten Sachen, die man in Magazinen sieht, ist es doch völlig egal, ob das Angelina Jolie ist oder sonst irgendwer." Die Besonderheit der Person, auch nur der kleinste Hinweis darauf, was sie ausmacht, verschwindet hinter Schminke.

Diese Inszenierung zu durchbrechen ist für Schoeller die Herausforderung in der Porträtfotografie. "Ich suche nach dem Augenblick, an dem jemand etwas von sich preisgibt", sagt er. "Der Moment, in dem die Person sich nicht selbst darstellt."

Bei seinem berühmten Close-up von Barack Obama, glaubt er, sei ihm das besonders gut gelungen. Das Bild entstand 2004, Obama hatte gerade erst die nationale politische Bühne betreten. Die Präsidentschaft lag noch in weiter Ferne, Obama kandidierte erstmals für einen Senatorenposten. Schoeller hatte eine Stunde Zeit mit Obama - heute ein Ding der Unmöglichkeit. Er habe in Obamas kargem Büro in Chicago gesessen und geschossen wie ein Verrückter, erinnert sich Schoeller, Hunderte Mal drückte er auf den Auslöser. Nach vielen Tagen und Nächten in der Dunkelkammer fand er dann eine einzige Aufnahme, die ihm gut gefiel. "Es war ein perfekter Moment."

Schoeller sucht den flüchtigen Moment

Wie bei allen seinen Porträtierten hatte Schoeller Obama in eine engagierte Diskussion verstrickt, damit dieser möglichst vergisst, dass er fotografiert wird. An einem Punkt des Gesprächs hatte Obama dann gerade aufgehört über eine Bemerkung von Schoeller zu lachen. Auf diesen Punkt, einen Bruchteil einer Sekunde, hatte Schoeller gewartet: "Es ist dieser Augenblick, an dem Leute sich noch nicht entschieden haben, wie sie schauen wollen, der mich fasziniert." Der Gesichtsausdruck, der in solchen flüchtigen Momenten entsteht, ist extrem schwer einzuordnen: "Manche sagen, er lächelt, manche sagen, er schaut grimmig. Und für beides kann man Anzeichen finden, wenn man will. Das ist das, was mir so gut an dem Foto gefällt."

Martin Schoeller jagt diese flüchtige Ehrlichkeit in der Fotografie leidenschaftlich. Wobei er weiß, dass er die Quadratur des Kreises versucht. "Die Fotografie ist an sich ein oberflächliches Medium", sagt er. "Man entscheidet sich für eine 150stel-Sekunde aus dem Leben eines Menschen. Wie ehrlich kann das denn sein? Wie viel kann das denn wirklich über die Person aussagen?"

Schoeller probiert trotzdem immer wieder, den Leuten mit der Linse unter die Haut zu fahren. Und er glaubt, dafür eine Formel gefunden zu haben. Schoellers Markenzeichen sind seine "Close-ups", frontal geschossene Porträts, in denen das Gesicht den ganzen Rahmen ausfüllt. Man sieht keinen Hintergrund, keine Kleidung, kaum Frisur. Nur das Gesicht, die verschiedenen Hauttöne, die Unebenheiten, die Fältchen, die Mitesser. Und hoffentlich eine subtile Unregelmäßigkeit im Mienenspiel, eine Regung, die nicht ganz passt.

Seine Tricks hat er bei Annie Leibovitz gelernt

Bei manchen Sitzungen gelingt das einfach nicht, da schaut sich Schoeller nachher Hunderte von Kontaktabzügen an und findet nichts Interessantes. Manchmal wird es ihm hingegen leicht gemacht. So wie mit Donald Rumsfeld, dem Verteidigungsminister von George Bush. Die Geschichte seiner Session mit Rumsfeld ist eine von Schoellers Lieblingsgeschichten. "Als Rumsfeld mich mit meinen Rastalocken hereinkommen sah, sagte er sofort, ich weiß, dass Sie aus dem gegnerischen Lager kommen und versuchen wollen, mich böse aussehen zu lassen."' Deshalb schwor Rumsfeld, die ganze Sitzung über zu lächeln. Das war für Schoeller ein gefundenes Fressen. "Ich weiß, dass kein Mensch zehn Minuten lang lächeln kann. Ich musste nur warten." Das Resultat ist eine von Schoellers liebsten Arbeiten.

Solche Tricks hat Schoeller nicht zuletzt bei Annie Leibovitz gelernt, der New Yorker Starfotografin, der er drei Jahre lang assistierte. Leibovitz war der Grund, warum Schoeller 1993 nach New York kam. Er lebte damals wieder in Frankfurt, nachdem er seine Lehre in Berlin abgeschlossen hatte, hielt sich mit Gelegenheitsjobs als Kellner und mit Assistenzen über Wasser. Er genoss das Leben in der Frankfurter Boheme, aber er wusste auch, dass er irgendwann aus Frankfurt wegmusste, wenn er als Fotograf weiterkommen wollte. Um in die großen Magazine zu kommen und wirklich interessante Arbeit zu machen, gab es nur einen Weg - eine Assistenz bei einem Superstar der Branche. "Wenn ich noch eine Assistenz mache, dachte ich mir damals, dann muss es schon bei jemandem ganz Tollem sein." Also flog er nach New York, schlupfte zur Untermiete bei jemandem unter, den er beim Kellnern im Frankfurter Tat-Café kennengelernt hatte und begann Leibovitz mit Bewerbungsunterlagen und Anrufen zu bombardieren.

Drei Monate dauerte es, bis Leibovitz ihn eines Tages einlud. Die als launische Diva berüchtigte Leibovitz hatte gerade einen Assistenten gefeuert und suchte dringend Ersatz. 400 Dollar pro Woche bot sie ihm an - ein Hungerlohn in New York. "Ich habe mich gefreut wie ein junger Hund, der einen Knochen bekommen hat."

Seine Bilder haben Biss

Schoeller hielt es bei der oft jähzornigen Leibovitz bis 1996 aus - eine Leistung, für die ihn einige seiner Kollegen noch mehr bewundern als für seine Arbeit. "Nicht immer einfach", sagt er heute lakonisch über diese Zeit. Details verschweigt er diskret. Danach war er in der New Yorker Fotowelt so gut vernetzt, dass er seine eigene Karriere starten konnte. Wie seine Mentorin fotografierte er bald für die Hochglanzmagazine Prominente, die er im Leibovitz-Stil in barocke Szenerien stellte. Er entwickelte ihren Stil weiter. Seine Bilder haben mehr Biss, einen ganz eigenen, sehr erkennbaren Humor. So steckte er etwa den oft als verrückt abgestempelten Quentin Tarantino, berüchtigt für die extreme Gewalt in seinen Filmen, in eine Zwangsjacke und ließ weiße Tauben um ihn kreisen. Den Snowboard-Star Shaun White ließ er in einem pinkfarbenen Anzug auf der Wall Street Skateboard fahren.

2009 war Schoeller drei Wochen lang in Tansania und fotografierte den Stamm der Hazda. An sich ein Traum für jemanden, der sein Leben dem Studium des menschlichen Antlitzes gewidmet hat. Doch Schoeller war mit den Bildern unzufrieden. "Man müsste da ein Jahr lang hinfahren, um wirklich gute Fotos zu machen", glaubt er. Ein Jahr für eine 150stel-Sekunde. Für Martin Schoeller eine Rechnung die aufgeht.

Ausstellung: "Behind the Mask - Porträts von Martin Schoeller", 6. - 31. Juli im Museum "The Kennedys", Berlin.