Der Autor und Musiker Sven Regener stellt am Donnerstag im Stuttgarter Theaterhaus sein Werk „Magical Mystery“ vor. Der Roman erzählt von einer Reise durch eine längst vergangene Zeit.

Stuttgart - Wir erinnern uns noch gut an Karl Schmidt, den Künstler und Freund des Herrn Lehmann, der am Tag der Maueröffnung Opfer eines depressiven Nervenzusammenbruchs wird. Nachdem er Jahre in einer drogentherapeutischen Einrichtung in Hamburg verbracht hat, taucht er wieder auf und staunt nicht schlecht. Die DDR ist von der Landkarte verschwunden – und die alten Freunde sind mit einer Musik namens Techno zu Ruhm und Reichtum gelangt. Für eine DJ-Tournee mit Bumbum-Musik wird jemand gesucht, der unter lauter Verstrahlten garantiert nüchtern bleibt. Davon erzählt der Schriftsteller und Musiker Sven Regener in seinem neuen Roman „Magical Mystery“, den er morgen bei einer Lesung im Stuttgarter Theaterhaus präsentiert.

 

Der Schachzug, den Protagonisten einfach die ersten vier, fünf Jahre nach der Maueröffnung aus dem Spiel zu nehmen, ist clever. So kann Regener den vertrauten Blick der Geschichtsstille der Westberliner Subkultur bis in die Mitte der neunziger Jahre verlängern. Weil sein Held also von der Gegenwart wenig weiß, erspart das dem Autor die Recherche. Ein charmanter Trick mit dem Phantomschmerz DDR. Und Regener grinst. „Ich bin nicht so ausgebufft, wie es manchmal scheinen mag“, sagt er. „Ich kann nur über etwas schreiben, was ich selbst für so interessant halte, dass ich Lust bekomme, daran zu arbeiten. Und hier fand ich eben interessant, dass viele Probleme, die dieses Thema mit sich bringt, von vornherein ausgeschlossen waren. Es braucht eben fünf Jahre, bis Karl Schmidt nach seinem Zusammenbruch wieder einigermaßen wiederhergestellt ist.“

Hat Regener überhaupt einen Bezug zu Technomusik?

So reizt „Magical Mystery“ den Leser mit einer doppelten Verfremdung: der Roman erzählt von einer Reise durch eine längst vergangene Zeit mit ihren Hoffnungen und Merkwürdigkeiten anhand einer Figur aus einer noch weiter zurückliegenden Zeit. Ist unsere aktuelle Gegenwart nicht spannend genug für den Erzähler? „Die Vergangenheit zu erzählen ist leichter insofern, als man den Abstand hat, die Dinge anders zu gewichten. Distanz schützt davor, Dinge voreilig und aus dem Moment heraus zu wichtig zu nehmen. Brandaktuell mit einem Buch sein zu wollen hat immer etwas Verzweifeltes. Weil ein Buch ja überdauern und nicht rasant altern will.“

Wer die Pop-Chansons kennt, die Sven Regener mit Element of Crime seit Jahrzehnten macht, mag sich wundern, dass Karl Schmidt im Roman ausgerechnet beim Techno und nicht etwa bei der Hamburger Schule landet. Viel Recherche war aufgrund der Erzählkonstellation zwar nicht gefragt, aber hat Regener überhaupt einen Bezug zu dieser Technomusik? Okay, so getrennt, wie es rückblickend immer dargestellt wird, seien die beiden Welten nie gewesen. Aber zugegeben: „So richtig reingekommen bin ich in diese Szene erst Mitte der neunziger Jahre durch meine Frau Charlotte Goltermann, die das Elektronik-Label Ladomat betrieben hat. Da habe ich viele neue Leute aus dem Dance kennengelernt. Andere Musiker kannte ich schon von früher, weil wir zusammen Musik gemacht hatten, bevor Techno das große Ding wurde.“

Ohnehin wäre es falsch, „Magical Mystery“ als eine Art Techno-Roman zu lesen, denn Karl Schmidt ist nur ein staunender Beobachter der Szene. Oder? Regener stimmt zu: „Das ist eine sehr fruchtbare Konstellation, aus der man Dinge gut beschreiben kann. Es ist ja nicht so, dass Musiker sich immer nur über Musik unterhalten. Seeleute reden auch nicht über die technischen Details einer Überfahrt, sondern darüber, was sie während der Überfahrt erlebt haben. Da geht es um ihre Vorstellungen vom Leben.“

Pop-Literatur spielt gerne mit Generationenmodellen

Dann müssen wir jetzt wohl oder übel über das „P-Wort“ sprechen. Die sogenannte Pop-Literatur spielt hierzulande gerne mit Generationenmodellen: „Generation Golf“, „Generation Oasis“ oder „Generation Subkultur Westberlin“. Aber, Skandal, Karl Schmidt hat gar keine Plattensammlung! Regener lacht laut: „Pop-Literatur! Erst wollen alle dabei sein, weil es Aufmerksamkeit verspricht. Und hinterher will es niemand gewesen sein. Die Idee der Pop-Literatur klingt in meinen Ohren wie der verlängerte Arm des Journalismus. Das aber soll Literatur nicht sein. Das bringt niemanden weiter! Ich bin kein guter Reporter, deshalb schreibe ich keine Schlüsselromane, sondern Abenteuerromane. Mit diesem Generationending kann ich nichts anfangen. Ich lehne kollektive Identitäten, die dann ja Zwangsgemeinschaften sind, völlig ab. Es ist im Gegenteil die Aufgabe des Literaten, vom Einzelnen auszugehen. Mitfiebern oder mitleiden kann ich nur mit einer konkreten Figur.“

Fassen wir zusammen: kein Techno-Roman, kein Generationen-Porträt, keine Pop-Literatur. Könnte er sich mit dem Gedanken anfreunden, „Magical Mystery“ als Schelmenroman zu lesen? Mit einem gebrochenen Helden, der eine zusätzliche Dynamik ins Spiel bringt? Die Zustimmung ist nur verhalten: „Für einen Schelmenroman sind meine Figuren zu konkret. Ich will der Zeit keinen Spiegel vorhalten. Karl Schmidt ist schon sehr konkret Karl Schmidt, der Abenteuer erlebt. Ich bin kein Freund von Signifikant und Signifikat. Ich schreibe nicht, um etwas anderes zu sagen. Es ist, was es ist. Wie das Leben läuft, ist rätselhaft genug. Und es ist gut und wichtig, davon zu erzählen.“

Kommen wir kurz zum Titel des Buchs, der auf ein nicht sehr erfolgreiches Projekt der Beatles anspielt, was im Roman, also 1994, von kaum jemandem noch korrekt erinnert wird. Zwar soll die Achtundsechziger-Hippie-Zeit mit dem Rave-Zeitgeist versöhnt werden, doch die Erinnerung ist getrübt. Die Figur Ferdi sagt einmal zu Karl: „Charlie, 67/68 war auch nicht so wie 67/68. Im Sommer der Liebe war gar nicht so viel Liebe am Start.“ Regener nickt: „Ja, die eigene Vergangenheit ist gerne mal eine Konstruktion, in der wir uns sonnen. Die Dinge verschwinden, aber das Spiel mit den Möglichkeiten bleibt. Da werden Sachen neu zusammengesetzt im Gespräch. Es wird viel gelabert, aber darin liegt auch etwas Großartiges. Das macht mir Spaß, weil es mich manchmal selbst überrascht!“