In der DDR war er nur der Sohn von Erwin, dem großen Schauspieler. Matti Geschonneck hat lange gebraucht, um herauszufinden, wer er selber ist. Inzwischen ist er ein geachteter Regisseur. Antje Hildebrandt ist ihm begegnet.

Berlin - Er hat keine Hobbys. Er geht spazieren. Am liebsten in Berlin-Mitte, dort, wo er schon seit über dreißig Jahren lebt, noch immer in derselben Straße. Matti Geschonneck weiß, wo er hingehört. Ein hagerer Sechziger in Jeans und Parka, der Schädel fast kahl, eine runde Brille auf der Nase. Einigen kommt er vielleicht bekannt vor, Matti ist der Sohn von Erwin Geschonneck, einem der bekanntesten Volksschauspieler der DDR und seinem Vater ähnlich.

 

Der Sohn dreht Spielfilme. Verletzungen, Verlust, Schuld, Sehnsucht, das sind seine Themen. Thriller und Beziehungsdramen, das ist sein Genre. Spannung alleine über Bilder zu erzeugen ist seine Stärke. „Das Ende der Nacht“, das war so ein Drama, das unlängst im ZDF lief. Schon nach wenigen Minuten wusste man, dass er es inszeniert hat, auch ohne seinen Namen im Vorspann gelesen zu haben. So eine deutliche Handschrift haben nur wenige Regisseure. Dieser Film ist ein Plädoyer gegen Vorverurteilungen. Es geht um Gewalt in der Ehe. Ein Mann steht vor Gericht. Ein Tyrann, dem schon mal die Hand ausrutscht bei seiner Frau. Vergewaltigung, so lautet der Vorwurf, doch Beweise gibt es keine, nur Blut auf dem Teppich und einen Verdacht. Auf diesem Terrain bewegt sich Geschonneck mit einer Sicherheit, die man verstörend nennen muss. In der Grauzone.

Die Richterin (Barbara Auer) ist von der Schuld des Angeklagten überzeugt. Doch seine Anwältin (Ina Weisse) boxt ihn heraus. Es ist ein Duell der Gegensätze, brünett gegen blond, Herz gegen Verstand, Moral gegen Pragmatismus. Die beiden Darstellerinnen haben gerade den Deutschen Fernsehpreis dafür gewonnen. Für Geschonneck doppelter Grund zur Freude: Ina Weisse ist seine Ehefrau, eine schöne Blonde, sechzehn Jahre jünger als er.

Sein Blick ist ruhig, sein Gang schnell

Kaum einer schaut so genau hin wie Geschonneck. Sein Blick hat etwas Sezierendes. Er dehnt die Momente, um das Innenleben seiner Darsteller nach außen zu stülpen, mit all ihren Brüchen. So viel Zeit muss sein. Im richtigen Leben rennt er. Bei rot über die Ampel, im Zickzack an Baustellen vorbei. Geschonneck hat die Hände in den Taschen seines Parkas vergraben und steuert jetzt auf die Alte Nationalgalerie zu. „Das ist einer meiner Lieblingsplätze“, brummt er mit dieser sonoren Stimme, die ungemein beruhigend wirkt. „Sie müssen sich das mal abends anschauen. Die Sonne geht genau hinter dem Tempel unter. Dieses Licht ist einzigartig.“ Man muss die Stadt nur einmal mit seinen Augen sehen, dann bekommt man eine Ahnung davon, wie er tickt, der mehrfach preisgekrönte Meister des Suspense. Er sucht sich die Drehorte am liebsten selber aus, mit seinem untrüglichen Gespür für Atmosphäre. Er schreibt an den Drehbüchern mit.

Und wie erzeugt man Spannung, Herr Geschonneck? „Das hat nicht nur etwas mit Handwerk zu tun, sondern auch mit der Fähigkeit, Dinge sichtbar zu machen, die man nicht sehen kann. Hinter die Fassade blicken, den doppelten Boden ausleuchten, das ist Spannung.“ Wie das funktioniert, zeigt er in seinem neuen Film. „Eine Frau verschwindet“ Es geht um einen Teenager, der tot gefunden wird, ohne Gehirn, ein Ritualmord. Und es geht um die demente Frau des Kommissars. Geschonneck hat die Krankengeschichte und den Krimi kunstvoll ineinander verschränkt. Die Bilder wirken wie verwaschen. Es ist ein elegantes Stilmittel. Die Farbe schwindet in dem Maße, wie die Frau ihr Gedächtnis verliert.

Der beliebteste Volksschauspieler der DDR

Geschonnecks Karriere begann spät, in den neunziger Jahren. Da galt er noch als Nobody, als „Erwins Sohn“. Geschonneck Senior war glühender Kommunist. Einer, der sechs Jahre lang im KZ für seine Überzeugung einstand. Als er 2008 im Alter von 101 Jahren starb, trug das Feuilleton eine Legende zu Grab. Dabei beschränkte sich sein Ruhm auf die DDR. Dort wurde er als Brecht-Schauspieler mit Orden dekoriert. Der Matti aus dem Stück „Herr Puntila und sein Knecht Matti“, war eine seiner ersten Rollen. Ein Chauffeur, der sich von seinem tyrannischen Vorgesetzten befreit. Er hat seinen Sohn nach ihm benannt.

Matti Geschonneck war schon über vierzig, als er seinen Vater kennenlernte. Der Regisseur blinzelt gegen die Sonne. Er sitzt jetzt auf einer Bank vis-à-vis des Deutschen Historischen Museums, den Trabi im Blick, der auf der Fassade klebt. Es ist ein Plakat mit dem Titel der aktuellen Ausstellung: „Fokus DDR“. Sie zeigt, was übrig geblieben ist von diesem Staat, den er 1978 verlassen musste, weil er sich weigerte, sich schriftlich von seinem Freund zu distanzieren, dem ausgebürgerten Liedermacher Wolf Biermann. Geschonneck hatte gerade sein Regie-Studium am Eisenstein-Institut in Moskau abgeschlossen, als ihn die SED ausschloss. Er sagt: „Plötzlich schwanden Gewissheiten und Perspektiven.“

Spätes Wiedersehen von Vater und Sohn

Er hätte auch sagen können, es sei ein Schock gewesen, ein tiefer Einschnitt, schon der dritte in seinem Leben. Aber sich zu exponieren, ist nicht seine Art. Er war vier, als der Vater die Familie verließ. Seine Mutter heiratete ein zweites Mal. Einen Mann, von dem er sagt, er sei wie ein Vater für ihn gewesen. Doch auch dieser Mann sollte wieder gehen. Da war Matti fünfzehn. Diese Brüche haben ihn geprägt. Die Sehnsucht nach einem Vater, über den alle sprachen, den er selber aber nur vom Hörensagen kannte. „Es ist schrecklich, wenn andere mehr über deinen Vater wissen als du selber.“

Geschonneck ist ein wachsamer Beobachter. Er hat ein feines Sensorium für Verletzungen, weil er selber verletzt wurde. Er strahlt keine Autorität aus. Das macht es schwer, sich vorzustellen, wie er andere dirigiert. Alles eine Frage der Teamarbeit, sagt er. „Wenn die Konstellation stimmt, läuft es praktisch von allein.“ Inzwischen hat er 45 Filme gedreht, darunter den Kinofilm „Boxhagener Platz“. Oder die Komödie „Matulla & Busch“ mit Erwin Geschonneck. Da hatte er dem Vater längst verziehen, dass er ihn als Kind nie besucht hat. Er sagt, die Dreharbeiten mit ihm seien das größte Geschenk gewesen.

Ausgezeichnete Fernsehfilme

Am kommenden Montag, 15. Oktober, sendet das ZDF um 20.15 Uhr den neuen Fernsehfilm von Matti Geschonneck: „Eine Frau verschwindet“ mit Maja Maranow, Peter Haber und Tobias Moretti in den Hauptrollen. „Das Ende einer Nacht“ von Matti Geschonneck ist am 2. Oktober gleich zweimal mit dem renommierten Deutschen Fernsehpreis geehrt worden. Das Justizdrama gewann in der Kategorie „Bester Fernsehfilm“. Und in der Kategorie „Beste Schauspielerin“ wurde das Duo Barbara Auer und Ina Weisse für seine exzellente schauspielerische Leistung darin prämiiert.