Ein neues medizinisches Verfahren hat der Stuttgarterin Bettina Wassermann nach der Diagnose Brustkrebs doch noch zu einem Baby verholfen. Seit diesem Tag ist der Krebs für die 36-Jährige ganz weit weg.

Stuttgart - Vor viereinhalb Jahren hat Bettina Wassermann die Diagnose Brustkrebs bekommen. In den dunkelsten Nächten sah sie ihren Ehemann am eigenen Grab stehen. Heute hält sie ihren fünf Wochen alten Sohn Elian fest im Arm und freut sich über jeden Augenblick. Dass die Stuttgarterin einen der aggressivsten Tumorarten überstanden hat und nach einer kräftezehrenden Chemotherapie auf natürlichem Wege schwanger geworden ist, verdankt sie einem der jüngsten Fortschritte der Reproduktionsmedizin. Vor der Chemotherapie hat Bettina Wassermann einen Teil ihrer Eierstöcke einfrieren lassen, wohlwissend, dass eine Chemotherapie zur Unfruchtbarkeit führen kann. Knapp drei Jahre nach der Behandlung wurde ein Stück des Gewebes wieder eingesetzt. Elian ist das erste Baby in Baden-Württemberg, das nach einer so genannten Kryokonservierung der Eierstöcke am 23. Dezember im Marienhospital auf die Welt kam. Seit diesem Tag ist der Krebs für die 36-Jährige ganz weit weg, wie in einer anderen Galaxie.

 

Diagnose Brustkrebs

Manchmal aber kann Bettina Wassermann ihr Glück kaum fassen. Elian schläft seelenruhig in ihren Armen, während die 36-Jährige ihre Leidensgeschichte erzählt. Sie erinnert sich noch glasklar an den Tag im August 2010, als sie beim Duschen einen Knoten in ihrer rechten Brust ertastete. Purer Zufall, sagt Bettina Wassermann. Wenige Tage und einige Untersuchungen später stand fest, dass sie an einer äußerst aggressiven Brustkrebsart erkrankt war und vermutlich auch die ersten Lymphknoten befallen waren. Am Abend nach der Diagnose saß sie mit ihrem Lebensgefährten und heutigen Ehemann in der Frauenarztpraxis. „Danach wusste ich, dass ich nur dann eine Chance haben würde, wenn man mit den härtesten Hämmern auf das Tumorgewebe einhauen würde.“ Nach dem langen Gespräch aber wusste sie auch, dass es auch nach der Chemotherapie Möglichkeiten geben würde, schwanger zu werden.

Am nächsten Morgen rief Wassermann im Marienhospital an, und „schon war ich drin in der Maschinerie“. In den nächsten vier Wochen redete sie mit Ärzten, mit Krebskranken, sammelte Informationen im Internet, holte sich konsequent Zweitmeinungen ein. „Schrecklich war der Moment, als mir bewusst wurde, dass es vielleicht gar nicht mehr um Heilung gehen wird.“ Schlimm waren die Nächte, in denen die Gedanken um den Tod kreisten.

Konzentration auf die Heilung

Es gab aber immer auch die andere Seite, abseits aller Ängste. Zwei Wochen nach der Diagnose heirateten Bettina und Philipp Wassermann, ganz spontan und zu zweit, setzten sich mit einer Flasche Schampus und russischem Zupfkuchen in den Killesbergpark und genossen den Tag. In diesen ersten vier Wochen kümmerten sich die beiden auch um eine Zukunft, die unerreichbar schien. Bettina Wassermann ließ sich im Kinderwunschzentrum der Universitätsklinik Heidelberg einen Teil ihrer Eierstöcke entnehmen und einfrieren. Und sie ließ sich Eizellen entnehmen, befruchten und ebenfalls einfrieren. „Danach wusste ich, dass ich alles getan hatte, um vielleicht doch irgendwann ein Kind zu bekommen und ich wusste, dass ich mich jetzt ganz auf die Heilung konzentrieren konnte.“

Plötzlich zappelt es im Arm von Bettina Wassermann, ein leises Nölen ist zu hören. Die 36-Jährige lässt den kleinen Elian an ihrer linken, der gesunden Brust trinken. Nach wenigen Minuten fällt der Säugling wieder in Schlaf. „Milchkoma“, lacht Bettina Wassermann und erzählt von den fröhlichen Momenten, die es selbst während der Chemotherapie gab. Ihr Körper fühlte sich an wie der einer 80-Jährigen, sie litt an Gelenkschmerzen, schaffte es kaum mehr die Treppe in ihrer Wohnung im Gerberviertel hoch, erlebte Herzrasen und musste Tage im Marienhospital verbringen, weil ihr Immunsystem zusammengebrochen war. Aber auch in schlimmen Momenten konnte sie lachen. „Nach zwei Wochen Chemo sind mir die Haare büschelweise ausgefallen.“ Sie bat ihren Mann, sie abzurasieren. „Er machte mir einen Irokesenschnitt, wir hatten Spaß, bevor sie ganz ausfielen.“ Die Perücke trug sie nur, um anderen den Schrecken zu ersparen.

Die Stuttgarterin wird schwanger

Die Chemotherapie brachte den gewünschten Erfolg, der Tumor war am Ende auf keinem Ultraschall mehr sichtbar. Im Januar 2011 wurde die Stuttgarterin operiert, das befallene Gewebe und elf Lymphknoten wurden entfernt, die Brust blieb erhalten. Vom Kinderkriegen war Bettina Wassermann aber zu diesem Zeitpunkt im Januar 2011 immer noch meilenweit entfernt. Es folgte ein Jahr mit Reha und Bestrahlung und mit einer langsamen Rückkehr in den Beruf. Dann kam ein Jahr mit neuem Job und guten Nachrichten bei allen Nachuntersuchungen. „Irgendwann hatte ich dann auch wieder einen regelmäßigen Zyklus.“ Schwanger wurde Bettina Wassermann trotzdem nicht, die Untersuchungen beim Frauenarzt ergaben, dass die verbliebenen Eierstöcke durch die Chemotherapie Schaden genommen hatten. Im September 2013 wandte sich Bettina Wassermann deshalb wieder an die Heidelberger Reproduktionsmediziner, im Dezember wurden ihr mehrere Stücke des konservierten Eierstockgewebes hinter dem rechten Eierstock in die Beckenwand wieder eingesetzt. Im April war die Stuttgarterin schwanger. „Wir haben uns erst gar nicht getraut, es irgendjemand zu sagen.“

Und dann kam Elian, der noch immer friedlich an Bettina Wassermanns Brust schläft. In einem halben Jahr will sie wieder nach Heidelberg gehen, um sich dann weitere Stücke ihrer eingefrorenen Eierstöcke einsetzen zu lassen. „Seit Elian auf der Welt ist, denke ich nicht mehr an den Krebs. Ich überlege mir, wann ich ihn impfen lasse und ob ich ihn zuerst auf ein Snowboard oder auf Skier stellen soll.“