Glück ist ein relativer Begriff: Das Theater am Olgaeck zeigt Samuel Becketts Zweiakter „Glückliche Tage“ in einer Inszenierung von Nelly Eichhorn.

Stuttgart - Deutschland 2018: Die Demokratie zerstört sich selbst, die Mittelschicht verarmt, jede dritte Ehe ist geschieden. Aber die Deutschen sind glücklich. Umfragen aus dem vergangenen Jahr zeigen, dass Menschen in Deutschland ihr Glück mit der Ziffer 7,7 auf der Skala null bis zehn beziffern.

 

Winnie, Samuel Becketts weibliche Figur aus „Glückliche Tage“, passt da voll ins Bild. „Keine Besserung, keine Verschlechterung, keine Veränderung, das wird mal wieder ein glücklicher Tag“, ruft sie am vergangenen Sonntag im kleinen Theater am Olgaeck kindlich-fröhlich ins Publikum. Solange Willie, ihr seniler Mann, als Projektionsfläche für ihren Redeschwall dient, wird sie ihren Glücksanspruch weiter strapazieren.

Der Fokus liegt auf dem Wort

Nelly Eichhorn inszeniert den 1961 uraufgeführten Zweiakter von Samuel Beckett ohne Dekorations-Schnick-Schnack. Winnie, von Vanessa Nebenführ mit rosafarbener Perlenkette und Strohhut mit Kunstblumendekor gespielt, steckt in einem Berg aus dunkler Folie – ein garstiger Ort. Willie, ihr Mann (Daniel Kannenberg) hockt auf einem Stühlchen, verkriecht sich später hinter der Bühne. „Geh in dein Loch“, ruft Winnie – was für eine Demütigung.

Nelly Eichhorns Fokus liegt auf dem Wort. Und das trägt, denn Winnie ist eine Zeitgenossin. Unablässig kramt sie in ihrer schwarzen Tasche, verliert sich geschwätzig in Erinnerungen, hält sich mit Alltäglichem wie Zähneputzen und Lippenschminken auf („oh, flücht’ge Freuden . . . “). Sie redet ihre Sehschwäche gering („bald blind, naja, genug gesehen . . . “), greift zum pharmazeutischen Stimmungsaufheller („bei Lustlosigkeit und fehlendem Schwung . . . “).

Die phänomenale Fähigkeit zur Anpassung bis zur Verdrängung der Realität gerät im zweiten Akt zur Groteske. Winnie ist jetzt bis zum Hals paralysiert, Willie robbt sich unter Ächzen im Vierfüßlergang zum Plastikberg. Ihrer beider Hände erreichen sich nicht mehr. Willie stirbt. Es erklingt Franz Lehárs Lied aus der „Lustigen Witwe: „Lippen schweigen, ’s flüstern Geigen: Hab mich lieb.“ Bewegter Beifall des Publikums.