Die Affäre um das Sommermärchen nimmt kein Ende. Durch das Verfahren der Schweizer Bundesanwaltschaft sieht die deutsche Presse Franz Beckenbauer noch stärker als bislang in die Enge getrieben. Doch es gibt auch eine ganz andere Meinung.

Stuttgart - Geldwäsche, Betrug, Veruntreuung – wegen schwer wiegender Verdachtsmomente ermittelt die Schweizer Bundesanwaltschaft gegen Franz Beckenbauerund seine Mitstreiter bei der Organisation der Fußball-Weltmeisterschaft 2006. Es gab bereits Razzien in Österreich und der Schweiz. Die nächste Eskalationsstufe ist damit erreicht, der Skandal rund ums Sommermärchen geht in die nächste Runde – auch in den deutschen Medien.

 

Jens Weinreich, der die Affäre im vergangenen Jahr mit Kollegen des „Spiegel“ aufgedeckt hatte, nimmt im „Weser-Kurier“ erfreut zur Kenntnis, dass die Schweiz mit dem Strafverfahren in die Offensive gegangen ist: „Das Schweigekartell des Fußballs mit seinen mafiosen Strukturen, in denen entscheidende Unterlagen längst vernichtet sind, kann nur mit Strafandrohung gebrochen werden - nicht aber mit internen Kommissionen. Wenn’s eng wird für die Mitglieder der Fußballfamilie, die Jahrzehnte lang unantastbar waren, plaudern sie plötzlich.“ Inzwischen gehe es für die WM-Organisatoren auch darum, Haftstrafen zu vermeiden: „Das könnte eine Lichtgestalt wie Franz Beckenbauer gesprächig machen.“

Anno Hecker hingegen, der Sportchef der „FAZ“, sieht in den Schweizer Ermittlungen einen weiteren Tiefschlag für die deutschen Fans: „Der Albtraum des geneigten Fußballfans ist noch nicht zu Ende. Die jüngste Entwicklung belegt, dass die Freude der hiesigen Fußball-Gemeinde, mit dem Freshfields-Bericht sei das Thema endlich begraben, einem sehnlichen Wunsch entsprach und nicht der Realität.“

Mit den Schweizern ist in Geldangelegenheiten nicht zu spaßen

Hans Leyendecker von der „Süddeutschen Zeitung“ weist darauf hin, dass mit den Ermittlern in der Schweiz nicht (mehr) zu spaßen sei: „Selbst wenn es um mögliche Wirtschaftskriminalität geht, wird ein Fall offensichtlich nicht mehr danach beurteilt, wie prominent die Beschuldigten sind.“ Offen sei der Ausgang des Verfahren, gewiss jedoch sei: „Die Beteiligten haben bei ihren WM-Mauscheleien gegen das elfte Gebot verstoßen: Du sollst dich nicht erwischen lassen. Nicht einmal mehr in der Schweiz.“

Fast ungläubig verfolgt im Berliner „Tagesspiegel“ der Chefredakteur Stephan-Andreas Casdorff die Vorgänge: „Es klingt wie eine Räuberpistole. Und doch ist es eine ernste Sache.“ Die Ermittlungen könnten „ungeheuerliche Folgen haben. Für ‚ungetreue Geschäftsbesorgung’ drohen in der Schweiz eine Geldstrafe oder bis zu drei Jahre Gefängnis, in besonderen Fällen sogar bis zu fünf Jahre Haft.“ Noch aber hat Casdorff die Hoffnung auf ein gutes Ende nicht aufgegeben: „Bis zum Beweis des Gegenteils gilt die Unschuldsvermutung. Wollen wir hoffen. Fürs Land, für ‚Schland’.“

Das Prinzip Beckenbauer

Das Sommermärchen sei „Beckenbauers Schutzschild, bis heute. Er weiß, wie sehr viele im Land an diesen Wochen hängen“, schreibt Lukas Rilke von „Spiegel online“ und bringt kein Verständnis dafür auf, dass Beckenbauer bislang zumeist eisern geschwiegen hat: „Dabei war er früher als Kommentator jeder Nichtigkeit allgegenwärtig. Und das mit ständig wechselnder Meinung. Erst war Beckenbauer der ‚Kaiser’ und galt vielen als unantastbar. Dann wurde er in seinen Aussagen immer beliebiger. Und in den vergangenen Jahren kam mit der Kritik das Schweigen und der Versuch, Probleme auszusitzen. Das ist inzwischen das Prinzip Beckenbauer.“

Für den Fußballreporter Peter Müller von der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ steht bereits fest, dass das Image von Franz Beckenbauer, „dem Entzauberten“, nicht nur Kratzer bekommen hat: „In der Frage, wie die WM 2006 tatsächlich nach Deutschland kam, ist er in Erklärungsnot geraten. Es geht um dubiose Zahlungen und Verschleierungen. Was auch immer die Ermittlungen der Berner Bundesanwaltschaft ergeben werden: Es wird Franz Beckenbauer nicht mehr gelingen können, seinen alten Ruf wiederherzustellen.“

Erst feiern – und sich dann empören

Heinrich Lemer hingegen, der langjährige Sportchef des „Münchner Merkur“, sieht „viel Scheinheiligkeit in der Causa Beckenbauer“. Denn: „Ohne die (vermuteten) Bestechungs-Millionen hätten die Deutschen die WM nur aus der Entfernung erlebt. Das Sommermärchen also hat man gerne genommen, ob seiner Entstehungsgeschichte aber empört man sich.“ Lemer wirbt daher um Verständnis für des Vorgehen des früheren Bayern-Präsidenten. Beckenbauer habe die WM „in einer Zeit beschafft, in der man ein Sport-Großereignis ohne entsprechende ‚Zuwendungen’ nicht bekommen konnte“. Und: „Persönliche finanzielle Vorteile hat er aus dieser Transaktion nicht gezogen.“