Andreas Tröster untersucht als Fallanalytiker im LKA die schwersten Delikte. Er soll möglichst scharfe Profile der Verbrecher entwerfen.

Reportage: Robin Szuttor (szu)
Stuttgart - In Block E, Raum 404 des Landeskriminalamts läuft gerade wieder eine schaurige Ausstellung. Auf einer Tafel kleben Fotos vom Tatort: das Satellitenbild eines Waldstücks, dann etwas näher gezoomt: ein Parkplatz, noch näher: eine Zigarettenkippe. Daneben drei Fotos vom Opfer. Auf dem ersten sieht man einen lachenden Mann. Das zweite zeigt ihn als Leiche auf dem Asphalt, mit Messerstichen im Oberkörper. Auf dem dritten sind die Verletzungen von innen zu erkennen, ein Rechtsmediziner hat den Brustkorb aufgetrennt. Zum Gruselkabinett 404 gehört auch ein Messer, wie es bei der Tat verwendet wurde. Damit wird an einer Schaufensterpuppe immer wieder ausprobiert, wie der Mord im Detail abgelaufen sein könnte. "Es macht einen großen Unterschied, ob ich in der Ermittlungsakte etwas von einer dreißig Zentimeter langen Klinge lese, oder ob ich sie anfassen und mit ihr experimentieren kann", sagt Andreas Tröster. Er und sein Team wollen herausfinden: Wie tickt der Täter?

Tröster ist einer von sechs Fallanalytikern beim Landeskriminalamt Stuttgart. Eine kleine, hochspezialisierte Abteilung, die von zwei Psychologen unterstützt wird. In ganz Deutschland gibt es rund sechzig solcher Experten. Von ihnen ist bei Fahndungserfolgen selten die Rede, sie arbeiten im Hintergrund. Tröster und seine Leute sehen sich als "Beratungsdienstleister" für die Polizeikollegen. Meist sind es Sonderkommissionen, die ihre Hilfe anfordern. Für sie ist ein Fall beendet, sobald sie eine klare Analyse abliefern können. Dann müssen die anderen damit weiterarbeiten.

Seine Arbeit fordert Distanz


In Raum 404 landet nur das Schlimmste: Tötungsdelikte und schwere Sexualstraftaten. Alle spektakulären Fälle der vergangenen Jahre wurden hier durchleuchtet. Was Menschen anderen Menschen antun können, weiß Tröster zur Genüge. "An die Fotos gewöhnt man sich, an die menschliche Tragik dahinter nicht", sagt der 51-jährige Familienvater. Aber Betroffenheit hilft auch nicht weiter. Sein Job fordert kühle Distanz. Er ist ein Puzzlespieler, ein Fährtensucher, ein Wahrscheinlichkeitsrechner. Ein Sezierer, der die Spurenlage bis ins Kleinste zerlegt, um dann aus den Einzelteilen den Tatablauf zu rekonstruieren. Im Idealfall wird das Bild vom Geschehen so scharf, dass auch der Täter darin Gestalt annimmt. "Manchmal", sagt Tröster, "merkt man, dass irgendwas nicht ganz stimmig ist. Dann muss man ein paar Schritte zurück und neue Wege gehen."

Als Vater des Profilings gilt der amerikanische Psychologe James Brussel, der Mitte der 50er Jahre eine Charakterisierung des "Mad Bombers" von New York erstellte. Der Killer, so Brussel damals, sei Katholik, recht gebildet und ein Pedant. Er sei ein unverheirateter Einzelgänger, der bei der Mutter oder einer Mutterfigur lebe. Typisch für ihn sei ein konservativer und äußerst korrekter Kleidungsstil, bei seiner Verhaftung werde er wohl einen zweireihigen Anzug mit zugeknöpftem Jackett tragen. Vier Wochen später fasste man den Killer. Er war Ingenieur, Ordnungsfanatiker, lebte bei seinen älteren Schwestern und besuchte regelmäßig die Messe. Als er abgeführt wurde, so ist überliefert, trug er einen Zweireiher. Zugeknöpft.