Uschi Glas will keine sein, Renée Zellweger war mal eine, bei Martina Gedeck ist klar: Es gibt noch Leinwandgöttinnen. Bei der Berlinale sind die Diven in besonders großer Zahl anzutreffen. Und eines ist klar: zur Diva wird man geboren, man kann das nicht lernen.

Berlin - Eine Diva kommt nicht, sie erscheint. Das allerdings kann schwierig sein, wenn man eher zu den Pünktlichen gehört wie zum Beispiel Senta Berger.

 

Die erklimmt um kurz vor halb sieben an einem Festivalabend anmutigen Schrittes die marmorne Showtreppe des Ritz-Carlton. Oben im Ballsaal mit seinen Kronleuchtern und Blütenrankenteppichen wird es gleich einen der wichtigeren Empfänge geben. Das Medienboard Berlin-Brandenburg hat eingeladen. Von hier kommt das Geld für Filme wie „Gold“ oder „Nachtzug nach Lissabon“. Praktisch der ganze deutsche Film hat sich angesagt.

Die Berlinale der Frauen

Die Berger hat ein schwarzes Kleid in Wickeloptik mit einem nennenswerten Ausschnitt gewählt, an den Füßen hohe Peeptoes und oben dieses alterslose, stets gelassene Lächeln. Sieht gut aus, nur schaut in dem Moment leider keiner hin, obwohl schon zwei Dutzend Fotografen in Stellung gegangen sind. Die Fotoleute sehen aus wie eingepfercht. Sie stehen hinter einem Gitter und recken ihre Objektive als Giraffenhälse über den Zaun, jeder hält die Füße still auf einem Blatt Papier, das am Boden den Platz anweist. Am Gitter liegt rote Auslegware vor einer Stellwand. Bloß fotografiert wird noch nicht. Es gibt ein Scheinwerferproblem: zu hell, Leute klopfen mit Besenstielen gegen die gleißenden Lampen.Und wegen all dieser Verzögerungen muss Senta Berger im Schatten warten, auf den Auftritt. Das Lächeln hat Pause. Schlechte Zeiten für Diven.

Dies hier sei eine Berlinale der Frauen, hat Dieter Kosslick gesagt, damit meint er, dass so viele große Schauspielerinnen auf einmal wie selten hier erscheinen. Und da denkt man sofort an die Konkurrenz der Diven. Hat die Berlinale alles schon gesehen: Zickenkriege auf dem roten Teppich, die Auftritte von Catherine Deneuve im Konzerthaus am Gendarmenmarkt, wo sie für sich ganz persönlich das allgemeine Rauchverbot aufhob. Das Pressekonferenzduell zwischen Renée Zellweger und Catherine Zeta-Jones („Chicago“) vor zehn Jahren. Mit dem Lächeln der Zellweger hätte man mühelos ein Stück Metall aus der Saaldeko flexen können. Ein paar Jahre später sahen wir sie dann wieder beim Festival: Out-of-Bed-Haare, Daunenjacke, Winterstiefel, vorbei der Divenzauber.



Gibt es sie überhaupt noch, die Filmdiva? Diese Frauen, die man so nennt, weil sie angeblich Göttinnen gleichen, zumindest in ihrer Unerreichbarkeit? Erst waren es im 19. Jahrhundert Opernsängerinnen, die man so nannte, und es gibt die These, sie hätten mit dem Niedergang der Monarchie die umschwärmten Fürstinnen ersetzt. Mit dem Film kamen die Leinwandgöttinnen. Auf einmal war die Kamera zwischengeschaltet – ein Stellvertreterauge, das so tut, als kenne man einander persönlich: Man sieht die Diva nicht mehr real auf der Bühne. Dafür kommt man ihr nah. So nah, dass man glaubt, den Luftzug zu spüren, der ihr Haar bewegt. Greta Garbo, die „Göttliche“, die erste Filmdiva, war die meiste Zeit in Nahaufnahme zu sehen. Dann gab es fast nichts als Diven, sieht man mal ab von Hausfrauenidolen wie Doris Day oder ätherischen Fabelwesen wie Audrey Hepburn.

„Zur Diva wird man geboren“

„Ich hoffe, ich trete niemandem zu nahe, wenn ich sage, dass wir so etwas heute nicht mehr haben“, sagt Uschi Glas, es ist ein anderer Berlinaleabend, ein anderer Empfang, diesmal hat die Degeto eingeladen, die Produktionsfirma der ARD. Im Raum stehen ein Dutzend Ermittler verschiedener „Tatorte“, dazwischen Fernsehklinikpersonal. Christine Urspruch, die Alberich im Münsteraner „Tatort“, hat so ihre Erfahrung mit Diven gemacht. „Es gibt nur wenige, und es gehört immer auch dazu, sich einen Nimbus der Unnahbarkeit zu schaffen.“ Es funktioniere wie ein Spiel, sagt Urspruch. Dazu gehöre es, sich rar zu machen, Privilegien am Set zu sichern und auf sich warten zu lassen. Selbst in der Kantine erscheint manche nach dem Auftritt noch als Letzte.

Die Fotografen haben Frau Glas gerade gebeten, fürs Foto zu lächeln. Es vollzieht sich eine Art automatisierter Vorgang, die Lippen werden leicht geöffnet, aber entspannt gehalten, die Augen angemessen aufgerissen, die Kinnlinie verläuft sanft abwärts, der Oberkörper dreht sich samt Hüfte ins Halbprofil, das Spiel- stellt sich vors Standbein. Klick, klick. Frau Glas redet weiter. „Ich jedenfalls“, sagt Uschi Glas, „mache einfach meine Arbeit als Schauspielerin.“ Das klingt praktisch und professionell. Und als Zuschauer, der verzaubert werden möchte, will man es eigentlich nicht hören.

Wie Wildtiere, die einander umkreisen

„Zur Diva wird man geboren, das kann man nicht lernen“, sagt Michael Gwisdek („Oh Boy“), und er muss es wissen, schließlich waren er und Corinna Harfouch lange verheiratet. „Film hat etwas mit Märchen zu tun, man will verführt werden von Gestalten, die sich der schnöden Wirklichkeit entziehen.“ Es braucht also Frauen wie Isabelle Huppert und Martina Gedeck, die an einem anderen Abend auf dem roten Teppich des Berlinalepalastes posieren. Der Auftritt der beiden erinnert an die Art, in der Wildtiere einander umkreisen, zwei Raubkatzen vielleicht, die einen Nichtangriffspakt haben, mehr aber auch nicht. Die Gedeck hat einen neuen Look, die Haare gewellt und hochgesteckt, erscheint sie im kardinalsroten Kleid und posiert mit Regisseur. Minuten später entsteigt Isabelle Huppert elfendünn einem Wagen im schwarzen Konfirmandinnenkleid. Minutenlang posieren die beiden Darstellerinnen, getrennt, manchmal fast Rücken an Rücken, sorgsam bedacht, einander nicht zu berühren. Die andere? Sie ist nicht wichtiger als die Luft. Die, die man ausatmet.

Regina Ziegler kennt sich aus mit Diven. Die mächtige deutsche Filmproduzentin („Weißensee“) glaubt daran, dass sie einem Film nutzen: „Eine Filmdiva schafft es, dass auch hartgesottene Machos in Reihe sieben einer Frau auf der Leinwand mit offenem Mund folgen.“

Oben auf der Treppe steht gerade Hannelore Elsner. Sie wirkt ein wenig missgelaunt. Als sie die Frage nach den Diven hört, wird das nicht besser. Über so etwas wolle sie nun gar nicht sprechen, sagt Frau Elsner. „Dazu müsste ich mich konzentrieren, das ist mir zu oberflächlich“, meint sie und wendet sich ab zum nächsten Gesprächspartner. Vermutlich geht es gleich um die Quantentheorie oder den Bundeswehreinsatz in Mali. Macht nichts, am Freitag kommt ja endlich Catherine Deneuve zur Berlinale. Die soll schon mal mit sofortiger Abreise gedroht haben. Der Grund leuchtete unmittelbar ein: Die VIP-Lounge hatte keine Crevetten vorrätig.