Hunderte von säkularen Israelis fordern Gleichberechtigung: Sie besetzen landesweit Plätze in Bussen, die eigentlich für strenggläubige Männer reserviert sind.

Jerusalem - Tanja Rosenblit hat es vorgemacht. Sie ist eine Israelin, die nicht strenggläubig ist, aber auf jüdische Traditionen Wert legt. Und damit, so findet die 28-Jährige, steht die Gleichberechtigung von Mann und Frau durchaus im Einklang. Dass sie sich im Dezember die Freiheit herausnahm, in einem Bus, den vor allem Ultraorthodoxe nutzen, auf einem der vorderen Plätze zu sitzen, löste einen Eklat aus.

 

Erboste Haredim, wie die schläfengelockten Juden in Schwarz genannt werden, die lediglich Gott fürchten und irdische Gesetze nur bedingt achten, versuchten sie von ihrem Sitz zu drängen. Nach Haredi-Überzeugung haben Frauen im Bus hinten zu sitzen. Die Polizei musste einschreiten. Tanja Rosenblit setzte sich durch. Seitdem ist sie für säkulare Israelis eine Heldin, die sogar mit Rosa Parks verglichen wird. Die schwarze US-Amerikanerin aus Alabama war 1955 in einen "weißen" Bus gestiegen, um gegen die Rassensegregation zu protestieren.

Trennung nur wenn freiwillig praktiziert

Am Sonntagabend taten es ihr Hunderte von Israelis nach. Mobilisiert über Facebook fuhren Männer und Frauen in kleinen gemischten Gruppen landesweit in Mehadrin-Bussen mit. So werden jene Linien im öffentlichen Nahverkehr genannt, in denen für eine Probezeit laut Oberstem Gerichtsbeschluss die Geschlechtertrennung erlaubt ist - soweit sie freiwillig praktiziert wird - ein entscheidender Zusatz, den die Aktivisten der Kampagne "Hotorerut" ("Wacht auf") der ultraorthodoxen Fahrgastklientel vor Augen führen wollten.

Es war ihr Versuch, sich gegen die schleichende "Haredisierung" der israelischen Gesellschaft zu stemmen. "Sonst haben wir am Ende Zustände wie in Teheran", meinte eine junge Demonstrantin. Die Ultrafrommen machen zwar nur zehn Prozent der Gesamtbevölkerung aus, aber ihr Einfluss wächst, vor allem wegen ihrer rekordträchtig hohen Geburtenrate. Acht bis zwölf Kinder sind in einer Haredi-Familie keine Seltenheit. Immer mehr "Gottesfürchtige" ziehen aus ihren Ghettos in Mea Schearim in Jerusalem oder Bnei Brak nahe Tel Aviv in Viertel, die früher säkular waren. Ganze Städte wie Modiin, aber auch große neu gebaute Stadtbezirke sind heute in der Hand von Ultraorthodoxen.

Ultraortodoxen bespucken Kind

Liberale Israelis, eigentlich die Mehrheit, sehen sich vielerorts auf dem Rückzug und von den Frommen geradezu überfahren, die beileibe nicht nur auf strikte Einhaltung der Ruhegebote am Sabbat achten. Davon zeugen mehrere Vorfälle der jüngsten Zeit: zum Beispiel das Anspucken eines achtjährigen Mädchens, das obgleich es Ellbogen und Knie bedeckt trug, ultraorthodoxen Eiferern als nicht züchtig genug gekleidet erschien. Oder auch der unsägliche Einsatz von Kindern, die eine radikale Haredim-Sekte in KZ-Hemden steckte, versehen mit gelbem Davidstern, um gegen die Gefängnisstrafe für einen ultraorthodoxen Randalierer zu protestieren.

Dennoch sind die Spannungen zwischen Säkularen und Religiösen nur eine Facette des Kulturkampfs made in Israel. Einem Land aus Einwanderern aus allen Ecken der Welt, das von vielen inneren Widersprüchen zerrissen wird. Ein Land, das sich auf dem Hightechgebiet hervortut und doch mit einem Fuß im Mittelalter steckt. Das viel darauf gibt, ein jüdischer Staat zu sein und zugleich eine Demokratie, die einzige im Nahen Osten, wie die nationalrechte Regierung gerne betont. Dabei ist sie es, die reihenweise antidemokratische Gesetze initiiert hat, etwa um linke Nichtregierungsorganisationen finanziell das Wasser abzugraben und das Oberste Gericht, eine liberale Bastion, zu stutzen.

Premier Netanjahu für Frauenrechte

In dieser Gemengelage geben die Haredim, die meist weder Militärdienst leisten noch Steuern zahlen und als Sozialhilfeempfänger der israelischen Mehrheit auf der Tasche liegen, ein allzu leichtes Feindbild ab. Für Premier Benjamin Netanjahu eine willkommene Gelegenheit, seine liberale Seite hervorzuheben und sich als Verteidiger von Frauenrechten zu profilieren. Auswüchse wie das Bespucken von Schülerinnen oder eine erzwungene Geschlechtertrennung seien mit ihm nicht zu machen, hat er mehrfach betont. Ähnlich starke Worte gegenüber den Westbank-Siedlern, die Gerichtsurteile missachten und nach Belieben Außenposten auf fremdem Boden errichten, vermisst man bislang von ihm.

Tatsächlich ist seine Koalition längst zum Handlanger der religiös-zionistischen Siedlerlobby geworden. Die beiden ultraorthodoxen Fraktionen sind eher Beiwerk, eine zusätzliche Stütze im rechtskonservativen Lager. Dass die Haredim, ohnehin in viele Untergruppen zersplittert, nicht Israels einziges Problem sind, betonten auch die Busaktivisten: Israel dürfe nicht zu einer Theokratie verkommen, meinte einer der Organisatoren. Das müssten antizionistische Ultraorthodoxe genauso begreifen wie nationalreligiöse Siedler.

Ultraorthodoxe Ansichten

Kleidung: Frauen sollen sich nach Ansicht der Ultraorthodoxen stets sittsam in der Öffentlichkeit zeigen und sich so kleiden, dass nur das Gesicht und die Hände unbedeckt bleiben.

Geschlechtertrennung: Frauen sollen vor Synagogen auf die andere Straßenseite wechseln, in Bussen hinten sitzen und sich im Supermarkt in getrennte Schlangen vor der Kasse stellen.

Literatur: Buchhandlungen in orthodoxen Teilen Jerusalems wurden genötigt, „unsittsame“ Bücher aus dem Angebot zu nehmen.