Die Empfehlung des Grünen-Politikers Winfried Kretschmann für eine erneute Kanzlerkandidatur von Angela Merkel sorgt nicht nur in den eigenen Reihen für Kritik. Auch SPD-, FDP- und Linkenpolitiker zeigen sich verwundert.

Stuttgart - Eigentlich geht Winfried Kretschmann ungern in Talkshows. Unterbrochen zu werden, wenn er seine Gedanken entfalten will, nervt den 68-Jährigen – deshalb meidet er solche Sendungen, so gut es geht. Dass er gerade jetzt der ARD-Moderatorin Sandra Maischberger – im kleinen Kreis mit dem Journalisten Jakob Augstein und der Kabarettistin Maren Kroymann – zugesagt hat, heizt die Spekulationen über seine Motive an. Schließlich stehen große Entscheidungen bevor: Bundeskanzlerin Angela Merkel muss demnächst nicht nur sagen, ob sie selbst 2017 erneut antritt, sondern auch einen Nachfolger für Joachim Gauck vorschlagen – bis zur Bundespräsidentenwahl im Februar sind es noch drei Monate. Unter den Namen, die kursieren, ist auch der von Kretschmann, im Sommer stattete er ihr einen Besuch in Berlin ab.

 

Natürlich fragt Maischberger nach Kretschmanns Plänen, doch sie erfährt nicht mehr als viele Kollegen vor ihr: „Ich strebe dieses Amt nicht an“, wiederholt der Regierungschef einmal mehr. Das Amt müsse zum Manne kommen, hat sein Vor-Vor-Vorgänger Erwin Teufel früher gern erklärt.

Merkel als Stabilitätsanker

Offener ist Kretschmann, als es um Merkel geht. Er fände es sehr gut, wenn sie 2017 nochmals – also zum vierten Mal – antreten würde, bekennt er. „Ich wüsste auch niemand, der diesen Job besser machen könnte.“ Sie ist aus seiner Sicht in der gegenwärtigen Krise ein wichtiger Stabilitätsanker in Europa und in Deutschland. Und auch ein möglicher Koalitionspartner für die Grünen – auch wenn er sich nicht vorab festlegen will, wie er immer wieder betont.

Die Grünen sind zwar wenig überrascht, aber alles andere als erbaut über den jüngsten Auftritt ihres Spitzenmannes. Kretschmann habe im Landtagwahlkampf ja bekanntlich für Angela Merkel gebetet, ätzt der Landesvorsitzende Oliver Hildenbrand. „Gerade jetzt, wo die selbsternannte Klimakanzlerin ihre Umweltministerin planlos zur Weltklimakonferenz nach Marrakesch schicken will, zeigt sich aber ganz deutlich, dass es keinen Grund gibt, Merkel über den grünen Klee zu loben.“ Die Blockadehaltung der Union beim Klimaschutz sei „ökologisch verantwortungslos und ein Armutszeugnis“. Die Grünen sollten den Koalitionswahlkampf „nicht mit Koalitionsdebatten, sondern mit Themen und Inhalten bestreiten, und deshalb mit ganzer Kraft für einen ambitionierten Klima- und Umweltschutz sowie für den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft eintreten“, fordert Hildenbrand.

Grüne warnen vor Koalitionsaussagen

Ähnlich argumentiert auch die Bundesvorsitzende Simone Peter. Die Grünen strebten einen Politikwechsel in Berlin an, sagt sie. Merkels große Koalition müsse abgelöst werden, sie blockiere den Klimaschutz, schwäche den sozialen Zusammenhalt und spalte Europa mit ihrem „Kaputtsparkurs“. Ihr Co-Vorsitzender Cem Özdemir warnt vor Koalitionsdebatten zum jetzigen Zeitpunkt. „Wir konzentrieren uns darauf, unser Wahlergebnis zu verbessern, indem wir deutlich mehr Menschen gewinnen als bei der letzten Bundestagswahl.“ Auch Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter hält nichts von vorzeitigen Festlegungen. „Wir Grünen bleiben bei unserem Kurs der Eigenständigkeit. Das heißt: Wir werben für uns und nicht für irgendein Bündnis.“ Nach der Wahl werde man sehen, „welche Mehrheiten es gibt und mit wem wir unsere Inhalte durchsetzen können.“

Bei ihrem Parteitag vom 11. bis 13. November in Münster wollen die Grünen über ihre künftige Ausrichtung debattieren – seit Monaten gibt es interne Diskussionen, ob die Partei eher auf Rot-Rot-Grün oder Schwarz-Grün setzen soll. Vor kurzem trafen sich Grüne in Berlin zu Sondierungsgesprächen mit SPD und Linken.

Opposition wundert sich

Verwunderung zeigt auch SPD-Chefin Leni Breymaier: Sie wünsche sich in der künftigen Bundesregierung „mehr rot“ und sei erstaunt, dass sich Kretschmann dort nicht „mehr Grün“ wünsche, sagt sie. Und gibt ihm eine Warnung mit auf den Weg: Kretschmann müsse aufpassen, dass die Grünen bei der Bundestagswahl nicht wie die SPD bei der Landtagswahl verlören, weil mögliche Grünen-Wähler wegen Merkel gleich der CDU ihre Stimme gäben. SPD-Fraktionschef Andreas Stoch erklärt, Kretschmann strafe seine eigene, immer wieder ausgegebene Devise „Keine Ausschließeritis“ Lügen. Offenbar liebäugle der Ministerpräsident mit Schwarz-Grün im Bund und diene sich der Kanzlerin schon mal als unterwürfiger Juniorpartner an. „Die verzweifelten Versuche einer Initiativbewerbung vom Herrn Kretschmann um das Amt des Bundespräsidenten nehmen mittlerweile für das Land peinliche Züge an. Ich fordere Herrn Kretschmann auf, nun endlich seine Kandidatur offiziell anzumelden, damit das Land Klarheit bekommt“, sagt Hans-Ulrich Rülke, Vorsitzender der FDP-Landtagsfraktion. Und Linken-Chef Bernd Riexinger twittert: „Kretschmann für Merkel? Wie ein BVB-Fan, der schalke die Daumen drückt. Völlig absurd. Vielleicht sollte er die Mannschaft wechseln.“

Zustimmung kommt dagegen vom Koalitionspartner CDU: „Wo Herr Kretschmann recht hat, hat er recht“, sagt Thomas Strobl, stellvertretender Ministerpräsident und CDU-Landeschef