Fünf Jahre Haft wegen Totschlags sind nicht genug: Eine Woche nach dem Ende des Prozesses gegen Oscar Pistorius kündigt die Staatsanwaltschaft Berufung an. Auch die Mutter der getöteten Reeva hat das Kapitel noch nicht abgeschlossen und veröffentlicht ein Enthüllungsbuch.

Pretoria - Oscar Pistorius soll nach dem Willen der obersten Justizbehörde viel länger als fünf Jahre für den Tod seiner Freundin Reeva Steenkamp büßen. Gegen das Urteil werde die Staatsanwaltschaft „innerhalb der nächsten Tage“ Berufung einlegen, kündigte die Nationale Strafverfolgungsbehörde an. Laut deren Sprecher Nathi Mcnube sollen sowohl der Schuldspruch gegen Pistorius wegen fahrlässiger Tötung als auch das Strafmaß von fünf Jahren angefochten werden. Sollte es zu einer Berufungsverhandlung kommen, könnte der 27-Jährige nach Einschätzung von Strafrechtsexperten doch noch wegen Mordes verurteilt werden. Darauf steht in Südafrika lebenslänglich – was in der Praxis auf 25 Jahre Haft hinausläuft.

 

Auch die Mutter der getöteten Reeva Steenkamp, June Steenkamp, hat noch keinen Schlussstrich unter das Kapitel gezogen. Sie wartet mit aufsehenerregenden Enthüllungen auf. Ihre 29-jährige Tochter habe mit Pistorius niemals geschlafen, behauptet June Steenkamp sowohl in ihrer am 6. November erscheinenden Biografie „Reeva: a Mother’s Story“ sowie in mehreren Interviews. Reeva habe ihr anvertraut, dass sie davor „zurückschreckte“, die Beziehung zu Oscar auf diese Weise zu intensivieren. Ihre Tochter habe „quälende Zweifel“ daran geäußert, ob sie und Oscar überhaupt „zusammenpassten“, schreibt Steenkamp. Pistorius war mehr als drei Monate lang mit Reeva liiert gewesen, bevor er das Model – nach eigenen Angaben versehentlich – in der Nacht zum 14. Februar 2013 mit vier Pistolenschüssen durch die geschlossene Toilettentür tötete.

Die Mutter ist sich sicher: Reeva wollte Schluss machen

Anders als die Richterin Thokozile Masipa geht die 68-jährige June Steenkamp nach wie vor davon aus, dass Pistorius ihre Tochter nach einem Streit absichtlich ums Leben gebracht hat. „Ich habe keinen Zweifel daran, dass sie ihn in dieser Nacht verlassen wollte“, schreibt sie. Deshalb sei auf den Bildern der Überwachungskamera am Tor zu Pistorius’ Wohnkomplex in Pretoria eine derart schlecht gelaunte Reeva zu sehen gewesen, und deshalb habe Reeva ihren in Oscars Schlafzimmer aufgefundenen Koffer gepackt gehabt. Auch dass Reevas Jeans unordentlich auf dem Boden lagen und sie mit zwei Mobiltelefonen auf die Toilette ging, deute darauf hin, dass das Paar vor den tödlichen Schüssen gestritten habe, fügte June Steenkamp hinzu.

Warum sie während des Prozesses nicht als Zeugin aussagte, erklärt die Mutter weder in ihrem Buch noch in den Interviews. Ihre jüngsten Behauptungen widersprechen auch einer WhatsApp-Nachricht, die Pistorius einen Monat vor der Tatnacht am 12. Januar 2013 an Reeva gesendet haben soll. „Ich habe mich dir gestern, als wir miteinander geschlafen haben, so nahe gefühlt“, heißt es darin. „Ich muss dich aber noch verstehen lernen, wenn du müde oder krank bist.“ Diese WhatsApp-Nachricht war während des Verfahrens vor Gericht nicht vorgelesen worden, soll sich jedoch in den Prozessakten befinden.

Wird Pistorius im Gefängnis bevorzugt behandelt?

Obwohl Steenkamp sich zunächst enttäuscht gezeigt hatte, dass Pistorius nicht des Mordes, sondern nur des Totschlags für schuldig befunden worden war, drückte sie nach der Bekanntgabe des Strafmaßes ihre Befriedigung darüber aus, dass der Sportler zumindest zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde. „Wir wollen keine Rache. Wir sind glücklich darüber, dass er für das, was er tat, bestraft wurde“, sagte sie.

Unterdessen wird der Gefängnisbehörde vorgeworfen, Pistorius Privilegien einzuräumen, mit denen andere Häftlinge nicht rechnen könnten. Während zahlreiche amputierte Insassen im normalen Strafvollzug untergebracht sind, wurde der 27-Jährige Mitte vergangener Woche in den Krankenhaustrakt des Kgosi-Mampuru-Gefängnisses gebracht, weil ihm nach Auffassung des Gerichts der Strafvollzug in einer normalen Haftanstalt nicht zugemutet werden kann. Dort verfügt Pistorius über eine Einzelzelle mit eigener Toilette und Federkernmatratze, er hat außerdem Zugang zu einer Badewanne. Örtliche Zeitungen wollen herausgefunden haben, dass Pistorius sich die erste Nacht im Gefängnis „in den Schlaf geweint“ hat.