Der Prozess den zweiten Ex-Geschäftsführer von EN Storage fließt zäh. Zumindest am Rande offenbart er Hinweise auf ein denkwürdiges Geschäftsgebaren.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Herrenberg - Die Männer duzten sich auch im geschäftlichen Streit. „Der Edvin ist aufgestanden und hat auf den Tisch gehauen“, erzählt ein Vertriebsleiter, „der Lutz war auch ziemlich sauer“. Der Zorn hatte sich an Verhandlungen über neue Verträge für Anlageberater entzündet. Die Berater hielten sie für fragwürdig und fürchteten, sich strafbar zu machen. Die beiden Geschäftsführer – Edvin Novalic und Lutz Beier – diskutierten am Ende mit dem Friss-oder-stirb-Argument. Die Berater unterschrieben, das Geschäft lief zu gut. „Manchmal haben wir darüber geredet, dass wir gerade das deutsche Google hochziehen“, sagt der Vertriebsleiter.

 

Tatsächlich verkauften sie Graumarkt-Wertpapiere von EN Storage. Was sie hochzogen, ohne es zu wissen, war ein Fall von Anlagebetrug, der in Baden-Württemberg historische Ausmaße annimmt. Gut 2000 Anleger hatten Beier und Novalic mehr als 90 Millionen Euro anvertraut. Das Geld floss in ein Schneeballsystem. Das gesamte Geschäftsmodell von EN Storage war nur eine überzeugende Kulisse. So viel steht fest, obwohl das Landgericht Stuttgart gegen die beiden Geschäftsführer noch verhandelt. Novalic hat gestanden und wird voraussichtlich nächste Woche verurteilt. Beier leugnet jede Beteiligung.

Die Akten werden in roten Wäschekörben in den Gerichtssaal getragen

Der Prozess gegen ihn offenbart zunächst, wie zäh Gerichte gezwungen sind, Wirtschaftsstraftaten aufzuklären. Die Akten werden in roten Wäschekörben in den Gerichtssaal getragen. Womöglich fällt ein Urteil zu Weihnachten. In den bisherigen neun von insgesamt 40 Verhandlungstagen saßen einstige Mitarbeiter im Zeugenstand. Zum guten Teil sind sie auch Geschädigte. Die erste Käuferin von EN-Wertpapieren war Lutz Beiers Putzfrau. Strittig ist, ob er sie mit der Drohung von der Qualität der Anlage überzeugte, sie könne künftig ebensogut für einen anderen putzen. Hingegen ist aktenkundig, dass auch eine erkleckliche Zahl der Mitarbeiter Teile ihres Gehalts als Investment zurücküberwiesen.

Die Zeugen erklären Formulare oder die Buchhaltung und erhellen Protokolle von Geschäftsbesprechungen mit Hintergrundinformationen. Sie erzählen, dass die Liste der vorgetäuschten Kunden für jedermann sichtbar an der Tür zur Akten-Abstellkammer hing. Ein Daimler-Ableger gehörte dazu, der Landmaschinenhersteller John Deere, die Osiandersche Buchhandlung, die Regierung Kroatiens – angeblich. Die Namen waren willkürlich erdacht.

Inzwischen weiß das Gericht sogar, wo Lutz Beiers Pferde geboren wurden

Inzwischen weiß das Gericht, dass Freunde und Verwandte Wertpapiere zu Sonderpreisen bekamen und sogar, wo Beiers drei Pferde geboren wurden und wo sie nach seiner Verhaftung geblieben sind. Seine Reitlehrerin hat sie zu sich geholt, die ebenfalls bei EN Storage gearbeitet hatte.

Nebenbei offenbart der Prozess, dass es zumindest vereinzelt Hinweise auf ein bemerkenswertes Geschäftsgebaren von Beier und Novalic gab. Am vorerst letzten Verhandlungstag saß ein vierschrötiger Handwerksmeister im Zeugenstand. Er hatte Novalic und Beier Geld geliehen. Einen Kredit über 20 000 Euro ließ er sich mit 6,5 Prozent Zins versilbern, einen zweiten über 15 000 Euro vergolden. Etwas mehr als vier Jahre lang zahlten Beier und Novalic monatlich 650 Euro zurück, macht in der Gesamtsumme stolze 33 540 Euro. Der Vertrag war weitgehend handschriftlich verfasst und versehen mit dem Vermerk „für private Zwecke“. Die Geschäfte wurden ausschließlich bar abgewickelt.

Die Zeugen werden regelmäßig nach ihrer persönlichen Einschätzung zu Beier gefragt. Dass sein Charakter narzisstisch sei, gehört zu den häufigen Meinungen. In der entscheidenden Frage laufen die Ansichten hingegen zuwider: Hat Lutz Beier vom Betrug zumindest gewusst oder war er sogar die treibende Kraft? So hat es Edvin Novalic in seinem Prozess behauptet. „Entweder er war so kriminell, dass er es von Anfang an gewusst hat, oder er war so dumm, dass er es bis zum Schluss nicht gemerkt hat.“ So hatte der Vertriebsleiter geantwortet. Zumindest hätte dem Geschäftsführer auffallen können, dass sein Kompagnon Novalic regelmäßig um die 250 000 Euro in bar vom Geschäftskonto abhob. Das Geld verschwand in Kofferräumen von Boten und endgültig im Ausland.