Die Anklage wiegt schwer: Gemeinschaftlichen erpresserischen Menschenraub, versuchte schwere räuberische Erpressung und gefährliche Körperverletzung wirft die Staatsanwaltschaft vier Männern im Alter von 30 bis 48 Jahren aus Aidlingen, Sindelfingen und Herrenberg vor. Doch die Anklage, die Staatsanwalt Christian Wanjelik am ersten Prozesstag vor der fünften Großen Strafkammer des Landgerichts Stuttgart verlas, wirkte noch nicht ganz rund und ließ einige Fragen offen.
Nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft hat ein junger Mann am 2. August vergangenen Jahres am Nachmittag einen Anruf von einem Onkel bekommen. Dieser forderte ihn auf, vor die Tür seiner Wohnung in Böblingen zu gehen. Dort stehe ein Mann, der ihm 1600 Euro zurückgeben wolle, die er ihm schulde. Als der junge Mann vor die Tür trat, traf er auf den 48-jährigen Angeklagten, der ihn bat, zu seinem Auto in etwa 100 Metern Entfernung mitzukommen, dort habe er das Geld.
Das Opfer wurde auch im Auto misshandelt
Am Auto angekommen, soll der 48-Jährige ein Messer gezogen und versucht haben, dem jungen Mann in den Bauch zu stechen. Als dieser auswich, seien die drei anderen Angeklagten von hinten hinzu gekommen: Ein 30-Jähriger soll Reizgas versprüht haben und dann das Opfer zusammen mit einem 32-Jährigen zu Boden gebracht und auf ihn eingetreten und –geschlagen haben. Ziel der Männer sei es gewesen, vom Onkel des jungen Mannes 50 000 Euro zu erpressen. Der 48-Jährige soll dem Opfer zuvor 9000 Euro geliehen haben.
Sodann hätten die beiden Schläger den jungen Mann in einen Peugeot auf die Rückbank zwischen sich gesetzt, der vierte Angeklagte habe diesen zu einem Waldparkplatz in Schönaich gefahren. Der 48-Jährige sei in einem Mercedes hinterhergefahren. Auf der Fahrt sollen die zwei Angeklagten auf dem Rücksitz ihr Opfer weiter malträtiert haben, von Schlägen in den Bauch und einer Kopfnuss war in der Anklage die Rede.
„Einen Finger abschneiden oder die Augen ausstechen“
Auf dem Waldparkplatz angekommen forderten sie den jungen Mann auf, seinen Onkel anzurufen und 50 000 Euro zu besorgen. Sonst würden sie ihm „einen Finger abschneiden oder die Augen ausstechen“. Als der Onkel zugesagt habe, das Geld zu besorgen, hätten sie von ihrem Opfer abgelassen.
Sie sollen dann zurück nach Böblingen gefahren sein. Dort seien drei der Angeklagten mit ihm zu seiner Bank gegangen, nachdem der junge Mann ihnen verraten habe, dass er 5000 Euro auf dem Konto habe.
Der Plan, das Geld abzuheben, sei aber gescheitert, da die EC-Karte gesperrt gewesen sei. Am Schalter habe man kein Geld mehr abheben können, da dieser geschlossen gewesen sei.
Die Angeklagten äußerten sich nicht
Die Männer hätten den jungen Mann dann nochmals aufgefordert, seinen Onkel anzurufen, um das Geld zu beschaffen. Nach einer Wartezeit von rund 40 Minuten, in der dieser nicht aufgetaucht sei, hätten sie ihr Opfer gehen lassen – nicht ohne die Drohung, „dass er unter Beobachtung“ stehe.
Der 48-Jährige, der zudem noch wegen Handels mit Betäubungsmitteln angeklagt ist, weil die Polizei bei ihm knapp 17 Gramm Kokain fand, stammt aus der Finanzbranche. Er erklärte, er sei ausgebildeter Finanzwirt und habe neun Jahre lang beim Finanzamt gearbeitet. Danach habe er sich im Finanz- und Immobiliensektor selbstständig gemacht. Das sei mehrere Jahre lang sehr gut gelaufen, 2012 habe er jedoch Privatinsolvenz anmelden müssen, da er von einem Partner betrogen und auf 1,8 Millionen Euro Schulden sitzen gelassen worden sei. Anschließend sei er drei Jahre lang depressiv gewesen und habe von 2016 an von staatlicher Unterstützung gelebt.
Zu den Tatvorwürfen wollte sich am ersten Prozesstag keiner der vier Angeklagten äußern. Das soll am 25. März erfolgen, wenn auch der Onkel des Opfers als Zeuge geladen ist. Anschließend wollen sich Richter, Staatsanwalt und die Verteidiger zusammensetzen, um über eine mögliche Prozessverständigung zu sprechen.