Psychologie der Generationen Enttäuscht von den eigenen Kindern

Falscher Beruf, falsche Partnerin: Eltern kann man es nicht immer recht machen. Foto: Sergey Nivens

Als Kind ist es leicht, die Eltern stolz zu machen, doch je älter Kinder werden, umso schwieriger wird es, Vater und Mutter zufriedenzustellen. Vor allem, wenn der Nachwuchs andere Vorstellungen von seiner Zukunft hat.

Das erste Wort, ein hübsch gemaltes Bild: Sind die Kinder klein, müssen sie wenig tun, damit Mama und Papa stolz sind. Anders sieht es aus, wenn sie ihr eigenes Leben führen. Während die meisten Eltern akzeptieren, dass ihr Nachwuchs ein anderes Lebenskonzept hat als sie selbst, kommen manche damit nicht klar. Sie sind enttäuscht, etwa weil der Sohn seine Brötchen als freischaffender Künstler verdient statt als Anzug tragender Jurist.

 

Auch die Eltern von Karina S. (Name geändert) schämen sich für ihre Tochter. „Aus verschiedenen Gründen“, sagt die 37-Jährige. „Rein optisch bin ich für meine Eltern schon eine Enttäuschung“, erzählt die Böblingerin. „Ich bin übergewichtig und entspreche nicht den gängigen Schönheitsidealen.“

„Mein Vater glaubt, dass sich eine schlechte Mutter bin“

Gleichzeitig ist es ihrem Vater ein Dorn im Auge, dass die Freiberuflerin arbeitet, obwohl sie ein dreijähriges Kind hat. „Er ist davon überzeugt, dass der Mann die Familie allein versorgen muss und dass ich eine schlechte Mutter bin, die ihr Kind vernachlässigt. Dabei versuche ich vor allem vormittags zu arbeiten, wenn die Kleine in der Kita ist.“

Ihren Eltern sei unheimlich wichtig, was andere über sie denken. „Hast du denn kein Schamgefühl?“, heißt es dann, wenn Karinas Tochter eine Freundin mit nach Hause bringt und die Wohnung nicht aufgeräumt ist. Mit Verwandten oder Freunden sprechen sie nicht über ihre Enttäuschung.

Für die Mannheimer Psychotherapeutin Sonja Tolevski ist das nicht außergewöhnlich. Abgesehen von Eltern schwer drogenabhängiger oder krimineller Kinder, finde man selten Väter oder Mütter, die offen zugeben, dass ihnen ihr Nachwuchs peinlich ist. Häufig falle dann der Satz: „Wir wissen nicht, wie das passieren konnte, denn wir haben unser Bestes gegeben“, so Tolevski.

Mit voller Absicht zum Problemkind?

„Natürlich haben sie ihr Bestes gegeben oder glauben das zumindest. Aber in dem Moment, in dem sie sagen: Ich bin enttäuscht von meinem Kind, ist klar, dass sie damit auch zugeben, dass sie nicht ihr Bestes gegeben haben.“ Ein Kind komme nicht mit einem schlechten Charakter auf die Welt. „Ich kann nicht erwarten, dass die Kinder super werden, wenn es daheim zwischen den Eltern die ganze Zeit abgeht und Aggressionen im Spiel sind.“ Viele Kinder entschieden sich unterbewusst dafür, eine Baustelle zu werden. „Wenn sie in ausreichendem Maße Problemkind sind, werden die anderen zwei voneinander ablassen müssen und sich um das Kind kümmern“, sagt Tolevski. „Lieber sind sie verhaltensauffällig, als dass die Eltern Gefahr laufen, sich zu erdolchen.“

Generell muss man zwischen subjektiven und objektiven Enttäuschungen unterscheiden. Um eine objektive Enttäuschung handelt es sich, wenn ein Kind kriminell wird oder die Eltern bedroht.

Subjektiv enttäuscht sind die Erziehungsberechtigten, wenn sie einen eigenen Traum nicht leben konnten und hoffen, das Kind werde es schon richten, erklärt Tolevski. „Oder sie haben das Gefühl, das Kind muss etwas Besseres werden als alle anderen und man müsse sich mit ihm schmücken können. Sowohl im Verhalten als auch mit der Ausbildung oder dem zu erwartenden Gehalt.“ Was das Kind will oder welche Talente es hat, sei den Eltern egal.

Tolevski weiß, wie es sich anfühlt, wenn der eigene Vater enttäuscht ist. Weil sie nicht Maschinenbau studiert hat. „Er wollte, dass ich auch Ingenieur werde, findet Psychologie total überflüssig.“ So musste er seine Firma mangels Nachfolger schließen. „Aber unterm Strich findet er es inzwischen ganz gut, wenn er mich zufällig im Fernsehen sieht. Das poliert sein Ego, weil da auch sein Nachname steht.“ Dass sie eine renommierte Psychologin und Buchautorin ist, imponiere ihm dagegen nicht.

Dass vor allem Väter vom Lebenspartner der Tochter enttäuscht sind, komme häufig vor: „Ich glaube, dass es an sich schon eine Grundschwierigkeit gibt, weil keiner gut genug ist für bestimmte Töchter.“

Eigenschaften, die man selbst nicht habe, seien einem suspekt. Vielleicht finde man den Schwiegersohn in spe zwar nett, aber faul. Wer fleißig sei, erkenne nicht, wenn der junge Mann dafür eine tolle Eigenschaft hat, die man selbst nicht besitze. „Dann sehe ich nur Sachen, die dem Schwiegersohn im Gegensatz zu mir fehlen.“ Manchmal seien für Eltern materielle Themen so wichtig, dass andere Aspekte in den Hintergrund rückten.

Ist die Elternliebe an Erfolge gebunden?

Empfinden Eltern Enttäuschung aus subjektiven Gründen, ist dies laut Tolevski ein klares Indiz dafür, dass die Liebe zum Kind nicht bedingungslos ist. Eine ganze Generation sei nur geliebt worden wegen bestimmter Verhaltensweisen. Eltern hätten ihren Kindern nicht gesagt, dass sie sie trotzdem lieben, auch wenn sie etwas nicht können oder schaffen. „Diese elterliche Liebe ist an Konditionen gebunden.“ Sei man dagegen davon überzeugt, dass das Kind ein guter Mensch ist, werde die Liebe nicht von Errungenschaften abhängig gemacht.

Für die Expertin ist die Enttäuschung eher ein Problem der Eltern. Doch wie umgehen mit der Situation?

Tolevski rät, den Eltern die eigenen Empfindungen mitzuteilen. In einem Brief oder einem Gespräch. Können die Eltern diese nicht nachvollziehen, gebe es wenig Hoffnung. Die wenigsten Eltern suchten den Fehler bei sich oder der Familienkonstellation. „Sie haben das Gefühl, dass sie mit einem Kind gestraft wurden, das nicht in die Familie passt. Kaum einer würde zugeben, dass das Kind missraten ist, weil einiges schiefgelaufen ist.“ Das müsse man akzeptieren oder den Kontakt abbrechen. Egal wie man sich entscheide, eine Aussprache sei befreiend.

Inzwischen versucht Karina S., den Kontakt zu ihren Eltern auf ein Minimum zu reduzieren. „Ganz aufgegeben habe ich noch nicht, dass meine Eltern meinen Lebensweg irgendwann akzeptieren. Das ist zwar eher unwahrscheinlich, da ich weder meinen Beruf noch meinen Partner aufgeben will, aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.“

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