Wo wohnt das Glück? Und wie findet man es? Der neue Glücksatlas liefert Ergebnisse.

Stuttgart - Das Glück lebt an der Küste. Hoch im Norden sind die Menschen am glücklichsten – das steht im neuen Glücksatlas der Deutschen Post. Die Hanseaten mögen an Hamburg die gute Luft, das Wasser, sie vertrauen ihren Mitmenschen und fühlen sich sicher. Stuttgart ist dem Glücksatlas zufolge, der auf einer Auswertung von Bernd Raffelhüschen und Johannes Vatter von der Uni Freiburg basiert, weit weniger glücklich: Die Bewohner haben es nur auf Rang neun von 13 Platzierungen geschafft – hinter Leipzig, Frankfurt und Bremen. Viele Aspekte des städtischen Lebens haben die Stuttgarter zwar überdurchschnittlich bewertet, etwa die Naherholungsmöglichkeiten und die Verkehrsinfrastruktur. Eine echte Glücksbremse scheint aber das Angebot für Familien zu sein, die Luft- und Wasserqualität, die öffentliche Verwaltung und das unzureichende Zusammengehörigkeitsgefühl.

 

Nach 2011 wird der Glücksatlas nun zum zweiten Mal veröffentlicht. „Dieser Atlas hilft zu verstehen, welche gesellschaftlichen Faktoren die Lebenszufriedenheit erhöhen und wo es Verbesserungsbedarf gibt“, sagt Jürgen Gerdes von der Deutschen Post. Laufende gesellschaftliche Diskussionen wolle man mit wissenschaftlichen Daten bereichern.

Streben nach dem Hochgefühl

Aber nicht nur die Deutsche Post ist auf der Suche nach dem Glück. Seit jeher streben Menschen das unberechenbare Hochgefühl an. Philosophen vermuteten die Quelle des Glücks im tugendhaften Leben, in der Askese, der Nähe zu Gott, dem eigenen Denken oder sogar im Leiden. Heute suchen Forscher nach griffigen Formeln: Psychologen, Neurologen, Biophysiker, Soziologen, Ethnologen, Philosophen und Wirtschaftswissenschaftler jagen den flüchtigen Stoff. Als einer der bekanntesten Glücksforscher gilt der US-amerikanische Psychologe Ed Diener. Sein Glücksrezept klingt simpel: eine sinnvolle Aufgabe, enge soziale Bindungen, Abwechslung im Leben und eine Prise Spiritualität. Manch einer hat trotzdem Pech.

Bei Ruut Veenhoven in Rotterdam sammelt sich dagegen das Glück der Welt: seit 1980 füllt der Soziologe die World Database of Happiness. Das ist die weltgrößte Glücksdatenbank, in der internationale Publikationen zum Glück analysiert werden. Unter den Bewohnern von 97 Ländern sind demnach die Dänen am glücklichsten, es folgen die Schweizer und die Isländer. Rund 14 000 Erkenntnisse zum Glück lagern auf den Servern der Erasmus-Universität; doppelt so viele warten noch auf Prüfung. Auf einer zweiten Plattform sollen Menschen eintippen, was sie tagsüber machen und wie sie sich fühlen (www.risbo.org/happinessmonitor). 70 000 Menschen haben sich bisher beteiligt. Glücksgaranten sind demnach generalisierbar: das erste Date, der erste Kuss, die Geburt des ersten Kindes. Nur wenige schwarze Glücksschafe gibt es, die bei Schadenfreude echte Hochgefühle erlebt haben wollen.

Ist Glück erlernbar?

Kann man Glück denn nun lernen, ist es vorbestimmt, oder liegt es in den Genen? Schließlich kennt jeder Glückskinder, die scheinbar unbeschwert durchs Leben gehen, während andere stolpern. Dass Menschen mit bestimmten Charakterzügen glücksbegabter sind, wissen Psychologen seit langem: Das liegt daran, dass sie ihre negativen Gefühle besser kontrollieren können. Herausgefunden haben das Vertreter der „positiven Psychologie.“

Die Suche nach dem Glück kann man auch klinisch-nüchtern angehen: Blutproben zeigen bei akut glücklichen Menschen hohe Endorphingehalte, Hirnscans deuten auf die Botenstoffe Dopamin und Serotonin hin. Untersuchungen belegen zudem, wie zentral das Erbgut das Glücksempfinden bestimmt. Auch Versionen einzelner Gene, die günstig wirken können, sind mittlerweile entdeckt. Das hochkomplexe Zusammenspiel zischen Erbanlagen und individuellen Umweltfaktoren versuchen die Forscher noch zu entschlüsseln. Klar ist: nicht nur Gene prägen die Persönlichkeit und die Fähigkeit, Glück zu empfinden, sondern auch Kindheitserlebnisse.

Große Glücksstudie

Ein trauriges Kind wird aber nicht zwangsläufig zum deprimierten Erwachsenen. Das ist das Ergebnis der wohl ergiebigsten Studie zum Lebensglück, der Grant-Studie der Harvard-Universität. Vor mehr als 70 Jahren rekrutierten Forscher für die Langzeitstudie 268 männliche Harvard-Studenten, darunter auch den ehemaligen US-Präsidenten John F. Kennedy. Den Teilnehmern wurden Laktatwerte genommen, psychologische Tests folgten, Hirnströme wurden gemessen. Ein Mitarbeiter befragte die Eltern zum Aufwachsen, zur Pubertät und zu Krankheiten. Regelmäßig machten Forscher Hausbesuche, das tun sie bis heute.

Seit 45 Jahren beobachtet etwa der Psychologe George Vaillant die noch lebenden Probanden. Seine Frage ist nicht, wie viele Schicksalsschläge sie durchlaufen mussten, sondern wie sie damit umgegangen sind. Die Ergebnisse verweisen auf zweierlei: Im Leben eines jeden Probanden gab es Momente, die den weiteren Verlauf beeinflussten. Wie jemand auf diese Erlebnisse auf lange Sicht reagiere, sei ausschlaggebend dafür, ob das Leben als gelungen gelte.

Soziale Beziehungen sind wichtig

Bei jedem Problem, so Vaillant, komme ein Abwehrmechanismus zum Tragen. „Vieles, was als psychisch krank bezeichnet wird, reflektiert nur die unkluge Entfaltung von Abwehrmechanismen.“ Die Hauptfaktoren für eine physisch-psychische Gesundheit – und damit das Glück – überraschen wenig: eine gute Ausbildung, eine stabile Partnerschaft, nicht rauchen, wenig Alkohol, ausreichend Bewegung, kein Übergewicht und die besagte Entfaltung von Abwehrmechanismen. Vaillants größte Erkenntnis aus der Studie bisher: „Das einzige, was im Leben wirklich zählt, sind die Beziehungen zu anderen Menschen.“

Etwa ab dem 30. Lebensjahr ändert sich die Persönlichkeit eines Menschen kaum mehr – darüber sind sich die Forscher größtenteils einig. Eigentlich müsste das Glücksempfinden dann konstant sein. Einige Studien zeigen aber genau dann einen Einbruch: Das Wohlbefinden sackt bis Mitte, Ende 40 auf einen Tiefpunkt und steigt dann langsam. Mit 65 Jahren sind die Menschen wieder fast so glücklich wie 30-Jährige. Den Grund sehen Soziologen darin, dass sich in diesem Zeitraum viele Entscheidungen, die man einst als junger Mensch getroffen habe, als nicht zufriedenstellend erweisen. Gleichzeitig fühle man sich ihnen verpflichtet. Da aber noch Zeit für Veränderungen bleibe, könne man sich nicht damit abfinden. Ein Dilemma, das unglücklich macht – das aber auch klingt, als ob der abgriffene Kalenderspruch doch seine Berechtigung hat: Jeder ist seines Glückes Schmied. Das gilt in Hamburg, in Stuttgart – und auf der ganzen Welt.

Wie die Lebenszufriedenheit gemessen wird

Grundlage
Die Studie basiert auf Daten des Sozioökonomischen Panels SOEP, einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach vom Frühjahr 2012 und einer Befragung von TNS Emnid. Geleitet wurde die Studie von Bernd Raffelhüschen, Direktor des Forschungszentrums Generationenverträge der Uni Freiburg.

Erhebung
In 13 deutschen Großstädten wurden 3900 Bewohner über ihre Zufriedenheit befragt. Neben der Attraktivität als Wirtschaftsstandort und der Verkehrsinfrastruktur waren Kultur- und Sportmöglichkeiten relevant.

Ergebnisse
Trotz Eurokrise sind die Deutschen so glücklich wie 2011. Dabei holt der Osten des Landes stark auf: Der Abstand zu den westlichen Regionen beträgt nur noch 0,2 Punkte, damit ist der Wert so niedrig wie noch nie seit der Einheit. Vor allem Sachsen, Thüringen und Brandenburg haben sich in puncto Lebenszufriedenheit deutlich verbessert.