Die Diplompsychologin Manuela Kracheletz spricht im StZ-Interview über Ralf Rangnicks Burn-out und die Sonderstellung des Spitzensports.
   

Stuttgart - Mit seinem Rücktritt als Schalker Fußballtrainer hat Ralf Rangnick eine Diskussion über psycho-physische Erkrankungen ausgelöst. Der prominente Fall könnte auch vielen anderen helfen, glaubt Manuela Kracheletz.

 

Frau Kracheletz, hat es Sie gewundert, dass Ralf Rangnick an einem vegetativen Erschöpfungssyndrom leidet, oder wurde es Zeit, dass auch mal ein Spitzenfußballtrainer wegen dieser Erkrankung kürzertritt?

Es ist nicht nur für ihn gut, dass er das tut. Er hilft damit auch vielen anderen Menschen, die betroffen sind und sich wegen ihres Arbeitgebers nicht trauen, solch ein Leiden zuzugeben. Viele sagen mir oft: "Es darf niemand wissen, denn dann verliere ich mein Ansehen." Je mehr sich outen, desto besser ist es. Ein prominenter Fall wie Rangnick nimmt vielen die Scham und macht Mut.

Wie weit ist es vom Burn-out zur Depression?

Das kommt immer darauf an, wie sehr ein Patient ausgebrannt ist. Es gibt eine Erschöpfungsdepression. Das ist eine reaktive Depression, bei der man keinen Antrieb und keine Lebensfreude mehr spürt. Die ist aber nur vorübergehend und hört auf, wenn die Ursachen verändert werden.

Auch Ralf Rangnick hat sich antriebslos und müde gefühlt. Deswegen hat er sich dem Schalker Mannschaftsarzt Thorsten Rarreck im Juli anvertraut. Die ersten Therapiemaßnahmen haben aber nicht geholfen.

Die Frage ist, welche Maßnahmen durchgeführt wurden. Letztlich ist es im Umfeld Spitzensport aber auch sehr schwierig, denn dieses erwartet, dass man permanent funktioniert, und gesteht einem keine Auszeit zu. Wenn sich Ralf Rangnick diese jetzt nimmt, hat er die ganz, ganz große Chance, sein Leben und seine Arbeit so zu verändern, dass es ihm bald besser gehen wird, erwieder leistungsfähig ist und Lebensfreude verspürt.

Ist der Spitzensport anfälliger für Burn-outs als andere Bereiche?

Ich glaube, es macht überhaupt keinen Unterschied, ob man Spitzensportler, Topmanager oder Krankenpfleger ist. Es ist immer die Frage, ob die Energie, die aus dem Menschen herausgenommen wird, auch wieder zurückgeführt wird.

Aber Akteure des Leistungssports müssten doch durch den ständigen öffentlichen Druck anfälliger für diese Erkrankung sein als beispielsweise ein Bankmanager.

Der wird bei schlechter Leistung aber auch rausgekickt. Es gibt einfach Menschen, die mögen die Öffentlichkeit, und dann ist es egal, ob 10 oder 100000 zuschauen. Wesentlich ist, was einen dazu bringt auszubrennen. Da spielt die Öffentlichkeit eine geringe Rolle, denn es brennen ja Menschen aus allen Berufsbereichen aus, sogar Schüler und Studenten.

Nimmt denn der Spitzenfußball eine Sonderstellung ein?

Sicherlich ist der Druck dort am größten, weil dort das meiste Geld fließt und das System auch werbetechnisch sehr gepusht wird. Man muss sich daher überlegen, ob man in diesem System agieren will und mit welchen Strategien man dort gut zurechtkommen kann.


Ralf Rangnick wollte in diesem System arbeiten. Er hatte sich nach dem Abgang in Hoffenheim eigentlich selbst eine Erholungsphase verordnet, diese dann aber wegen des Schalker Angebots nicht durchgezogen. Will der Mensch nicht akzeptieren, wenn er eine Pause braucht?

Sich das selber eingestehen zu müssen ist so schwer. Hier hat der Spitzensport aber tatsächlich eine kleine Sonderstellung, weil es in besonderem Maß um Leistung und Stärke geht. Da hat man schnell das Gefühl, ich verliere das Gesicht, wenn man Schwäche zeigt. Außerdem ist immer die Hoffnung da, dass es schon nicht so schlimm ist. Und so ein Angebot wie Schalke reizt dann natürlich auch. Das ist doch ganz menschlich und ginge jedem so.

Psychologen sagen, im Sport werde der Leistungsgedanke quasi pervertiert. Ist das nicht genau das Problem?

Ja, es ist aber in den Wirtschaftsunternehmen genauso. Im Spitzensport wird immer Topleistung gefordert, am besten immer besser zu sein als beim vergangenen Mal. In Wirtschaftsunternehmen soll dafür mit immer weniger Menschen in immer kürzerer Zeit ein noch höherer Gewinn erzielt werden. Wir gehen zunehmend menschenunwürdig mit uns selbst und den Menschen in unserem Umfeld um. Es fehlt häufig der Respekt vor dem anderen. Das ist aber ein gesamtgesellschaftliches Problem.

Aber vor allem der Spitzenfußball ist medial sehr präsent. Profis, Trainer und ihre Arbeit werden immer gläserner. Inwiefern steigt dadurch die Gefahr des Burn-outs?

Je höher der Druck ist, desto unangenehmer und belastender ist es. Daher ist die Gefahr dann auch größer. Wenn man bestimmt, alle Leistungsfaktoren öffentlich zu machen, muss man sich auch überlegen, welche enormen Konsequenzen das haben kann und ob man das verantworten kann.

Das ist dann eher eine Problematik des Systems Spitzenfußballs. Hier sollte wohl mehr hinterfragt werden, welche Folgen gläserne Profis auf die Menschen haben könnten.

Ja, aber ich bin natürlich Idealistin. Bei mir steht die Wertschätzung des Menschen an erster Stelle, im Spitzensport aber wohl eher die Leistung und der Erfolg. Jeder ist in der Verantwortung zu überlegen, ob ein bestimmtes Ziel es wert ist, Menschen zu "verbrennen".

Warum erkranken Menschen eigentlich am vegetativen Erschöpfungssyndrom?

Weil sie sich überfordern oder überfordert werden und weil sie sich nicht gut genug um sich selbst kümmern. In der professionellen Beratung lernen sie, auf sich zu achten und mit sich selbst im Einklang zu sein.

Ralf Rangnick wird allseits gelobt, dass er sich getraut hat, seine Erschöpfung öffentlich zu machen. Rechnen Sie nun mit einer Flut von Sportlern, die sich bekennen?

Ich könnte mir vorstellen, dass nun mehrere Sportler Unterstützung bei einem psychologischen Berater suchen.

Der Schalker Mannschaftsarzt hat gesagt, Ralf Rangnick wird wieder zu alter Stärke finden. Werden die Fußballfans ihn auch wieder auf der Trainerbank sehen?

Natürlich wird er zu alter Stärke finden. Der Punkt ist dann: Wie wird er sein Leben gestalten und was wird ihm Freude machen? Er hat die Wahl, das frei zu entscheiden, und wird diese Frage zu einem anderen Zeitpunkt beantworten.


Person: Manuela Kracheletz hat ihr Studium in Gießen absolviert und sich im Beratungs- und Coachingsektor weitergebildet. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind Lebensqualität, Neuorientierung und Stressbewältigung.

Profession: Seit 1995 ist die 42-Jährige als Coach im Raum Stuttgart tätig und führt seit August in Ditzingen im Kreis Ludwigsburg eine Burn-out-Ambulanz - die erste Süddeutschlands. Informationen rund um das Thema Burn-out sind im Internetauftritt von Kracheletz unter www.burnoutambulanz.de oder unter Telefon 07156/174977 erhältlich.