Roland Bless hat die Bietigheimer Erfolgsgruppe Pur mitgegründet. Nach 35 Jahren ist Schluss - nun versucht er einen Neuanfang.

Entscheider/Institutionen : Kai Holoch (hol)
Bietigheim - So kann es nicht weitergehen. Genau das spürt Roland Bless an jenem grauen Novembertag 2003 in Erfurt. Pur ist gerade auf der "Was ist passiert?"-Tour. Die Bühne ragt wie ein Dreieck in die Halle. Vorne zelebriert Sänger Hartmut Engler seine Show. Links und rechts in gebührendem Abstand musizieren Keyboarder Ingo Reidl und Gitarrist Rudi Buttas. "Der Rest der Band stand 15 Meter vom Publikum entfernt, quasi mit dem Rücken an der Bühnenwand", erinnert sich Bless.

Die Aufforderung der anderen, wie üblich nach dem Konzert noch ein wenig zu feiern, lehnt Bless ab. Der Schlagzeuger, Gitarrist und Sänger geht auf sein Hotelzimmer mit Blick auf den Domplatz und starrt aus dem Fenster. "Ich habe erst einmal eine halbe Stunde geheult wie ein Schlosshund. Denn ich wusste: das ist nicht mehr das, was du mit aufgebaut hast." Tausend Fragen schießen ihm in dieser Nacht durch den Kopf: "Ist das noch mein Platz hier? Wohin geht dein Weg? Wie schaffe ich es, wieder meine Mitte zu finden?"

Dann greift er zur Gitarre und improvisiert. In dieser Nacht entstehen ersten Zeilen von "Lass mich jetzt nicht allein". Das Lied findet sich auf seinem ersten Solowerk, das Anfang 2011 erscheint. "Zurück zu euch", wird es heißen. Das ist durchaus programmatisch gemeint.

"Am Ende für beide Seiten unerträglich."


Oktober 2010: Roland Bless sitzt in seinem Haus am Ortsrand von Bietigheim und blickt über den großen Garten, der in herbstlichen Farben leuchtet. Der 49-Jährige ist voller Tatendrang, kann es kaum erwarten, dass sein neues Leben als Solokünstler so richtig beginnt. Die ersten Reaktionen auf sein Debütalbum sind überschwänglich. Dieter Falk, der alte Weggefährte, der schon die Pur-Erfolgsalben "Seiltänzertraum" und "Abenteuerland" produzierte, hat den Songs den letzten Schliff verpasst. Viele von ihnen würden ziemlich gut auf ein Pur-Album passen.

Eine große Plattenfirma wird "Zurück zu euch" herausbringen. Es sieht also gut aus für Bless. Am Vorabend hat er im Wohnzimmer mit seiner neuen Band geprobt. Musiker wissen: so etwas beschert schier unglaubliche Glücksgefühle.

Seit Februar dieses Jahres gehört er nicht mehr zur Pur-Familie. Über die tatsächlichen Umstände, die zu seiner Vertreibung aus dem Abenteuerland geführt haben, will er nicht viel reden. Das sei vertraglich so vereinbart, spiele aber auch keine große Rolle. "Am Ende ist es wohl für beide Seiten unerträglich gewesen", sagt er. Und: "Letztlich bin ich dem Wunsch der anderen gefolgt und habe die Band verlassen."

Roland Bless und Reidl kennen sich seit dem Kindergarten


Um zu verstehen, warum es seit jener Nacht in Erfurt überhaupt noch mehr als sechs Jahre dauerte, ehe es zum endgültigen Bruch kam, muss man die Geschichte von Pur kennen – sie füllt zwei Drittel der bisherigen Lebenszeit von Roland Bless.

Schon im Kindergarten lernt Roland Bless Ingo Reidl kennen. Die beiden Jungen stammen aus Vertriebenenfamilien, die Mütter schichten in der gleichen Fabrik: "Unsere Familien hatten nichts in der Hand. Dafür aber jede Menge Hoffnung, Lebensfreude und Begeisterung. Mein Vater hat mir immer erzählt, dass man zusammenhalten muss, wenn man etwas erreichen will." Mit 500 Mark Eigenkapital fängt der Vater an, ein Haus für die Großeltern, seine Frau und die Kinder zu bauen. 120 Quadratmeter für neun Personen. "Die Leute haben meinen Vater damals, Anfang der 60er Jahre, für verrückt erklärt. Aber er hat es geschafft", sagt Bless, und in seiner Stimme klingt Stolz mit.