Der russische Präsident Wladimir Putin gibt in einem Interview mit dem US-Moderator Tucker Carlson mehr als zwei Stunden seine Sicht der Welt zum besten. Mit alt bekannten Litaneien – und einem Lob für Egon Bahr.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Donald Trump hat noch nicht erklärt, mit wem an seiner Seite er in den Wahlkampf ziehen will. Eine ganze Reihe an Gouverneuren und Ex-Gouverneuren werden immer wieder für das Amt des Vizepräsidentschaftskandidaten genannt, fast täglich kommen neue dazu. Auf der Liste möglicher Kandidaten war kurz vor Jahreswechsel auch Tucker Carlson aufgetaucht. Der ultrakonservative Hetzer war einst der Star-Moderator bei Trumps Haussender Fox-News, nach seinem Rauswurf dort ist er auf Twitter beziehungsweise dessen Nachfolgekanal X aktiv. Und nach 716 Tagen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine war Tucker Carlson der erste westliche Journalist, der ein Interview mit Wladimir Putin bekam.

 

Schimpfen gegen den ukrainischen Präsidenten

Nun darf man vermuten, dass der Kreml sehr genau wusste, was für ein Vertreter der nachfragenden Zunft er sich da ins Haus geholt hat. In seiner ersten X-Show hatte es Carlson besonders auf den ukrainischen Präsidenten abgesehen gehabt. „Verschwitzt und rattenähnlich“ sei Selenskyis Gesicht, sagte er, und nannte ihn „unseren durchtriebenen ukrainischen Freund mit den kalten Augen und dem Trainingsanzug“.

Das sind Formulierungen, die man in Moskau gerne hört. All zu kritische Nachfragen waren deshalb nicht zu erwarten – und sie kamen auch nicht wirklich. 127 Minuten lang hat Wladimir Putin seine Sicht der Welt erklärt – und die Welt dürfte das nicht unbedingt beruhigt haben.

Der große weiße Tisch, mit dem Putin noch unmittelbar vor Beginn seines Angriffskrieges Distanz zu Besuchern wie dem deutschen Kanzler und dem französischen Präsidenten aufgebaut hatte, war einem klitzekleinen weißen Tischchen gewichen. Ein fast ähnliches Modell wie bei den Interviews, die der Oscar-prämierte Regisseur Oliver Stone zwischen 2015 und 2017 mit Putin führte. Fast ähnlich harmlos waren die Fragen.

Geschichtsstunde ufert aus

Tucker Carlson kann seine Stirn wunderbar in Falten legen, um so eine Art nachdenkliche Skepsis zu simulieren. Nachdenken und einhaken mag er aber kaum, wenn Wladimir Putin aus seiner Ankündigung „30 Sekunden zum geschichtlichen Hintergrund“ aufzuklären satte 30 Minuten macht. Putin sagt, was er immer sagt. Die Ukraine und Russland sind demnach eins, der ukrainische Staat nur ein Ergebnis ausländischer Einflüsse, das wieder rückgängig gemacht werden müsse. Zumal die Ukraine von den USA aufgerüstet worden sei, um seinerseits Russland anzugreifen. Tucker Carlsons Frage, ob nicht auch Ungarn Anspruch auf Teile der Ukraine habe und ob Putin das schon seinem Kollegen Victor Orbán gesagt hat, war hoffentlich von ironischer Natur. Ob Putin das erkannt hat bleibt offen.

„Kein Krieg gegen Polen“

Tucker Carlson mag seine Qualitäten darin haben, zu Hause gegen Politiker zu hetzen. Um Putins Blick auf die Welt wenigstens gelegentlich gerade zu rücken, reicht es nicht. Die Ukraine habe 2014 den Krieg begonnen, erklärt der Kremlchef, „wir versuchen seit 2022 ihn zu stoppen“. Nach Putins Lesart habe Russland die Truppen im Frühjahr 2022 von Kiew zurückgezogen, um Verhandlungen zu ermöglichen. Die durch die USA und ihre „europäischen Vasallen“ aufgerüstete Ukraine habe aber kein Interesse daran gezeigt.

Ob sich Putin eine Situation vorstellen könne, in der Russland Truppen nach Polen einmarschieren lässt. „Nein“, antwortet der, außer in einem Fall: „Wenn Polen Russland angreifen würde.“Dann führt der Präsident aus, dass Russland kein Interesse an Polen, Lettland oder anderen Ländern habe. Die Chance, dem Präsidenten in Erinnerung zu rufen, dass er kurz vor dem Einmarsch ins Nachbarland einen Angriff auf Kiew ausgeschlossen habe, hat Tucker Carlson versäumt.

Show für das US-Publikum

Dass die Nato versuche, die Bevölkerung mit Angstszenarien über einen Atomkrieg einzuschüchtern, gibt Putin noch zum Besten und erklärt: „Die schlauen Menschen verstehen, dass dies eine Täuschung ist“. Das Interview ist eine Show für das amerikanische Publikum – auch wenn Putin am Rande den 2015 verstorbenen SPD-Politiker Egon Bahr als Mann mit Weitsicht lobt.

Und auf die USA übertragen bedeutet dies: ein neuer Präsident Trump hat die Chance, sich auf die Seite der vermeintlich Schlauen zu stellen. Dass Trump sich dort verortet steht außer Frage, ob Tucker Carlson dann als Vizepräsident daneben steht oder die Weitsicht der Staatenlenker in den Medien lobpreist sei dahingestellt. Putins Ansage ist jedenfalls klar: Wenige Wochen, nachdem die USA aufhören, die Ukraine mit Waffen zu beliefern, könnte der Krieg beendet werden.

Wichtig für das US-Publikum: Putin erklärte in dem am 6. Februar aufgezeichneten Gespräch, dass eine Freilassung des in Russland inhaftierten Evan Gershkovich möglich sei. Das muss hierzulande die Alarmglocken klingeln lassen, denn der Präsident deutete an, sich einen Austausch mit Wadim Krasikow vorstellen zu können. Der ist wegen des Mordes im Berliner Tiergarten in Deutschland zu lebenslanger Haft verurteilt.