Radfahrer im Rems-Murr-Kreis Drei tödliche Unfälle zu viel

Auch in der Aspacher Straße in Backnang ist ein Radfahrer verunglückt. Foto: Gottfried / Stoppel

Drei Radfahrer sind seit März des vergangenen Jahres im Rems-Murr-Kreis tödlich verunglückt. Dabei ist das erklärte Ziel des Verkehrsministeriums, bald keine Unfälle mehr mit Verletzten zu haben. Welche Schlüsse lassen sich für die Zukunft ziehen?

Die „kritische Masse“ werde immer größer: In Backnang demonstrieren Radfahrer unter dem Titel „Critical Mass“ diesen Freitag, 6. Mai, von 17.30 Uhr an für mehr Radsicherheit.

 

Das ist auch ein Anlass, einmal nachzuprüfen: Wie groß ist das Risiko, einen Unfall zu haben, für Radfahrer im Rems-Murr-Kreis tatsächlich? Tödlich verunglückt sind seit März 2021 drei Menschen. Ein 52-jähriger Radfahrer war im Juni zwischen Waiblingen-Hohenacker und Remseck parallel zur Landstraße gefahren und mit einem Auto kollidiert. Im August wurde ein siebenjähriger Junge, der in Backnang einen Zebrastreifen überquerte, von einem Auto erfasst. Dessen 19-jähriger Fahrer hatte beim Abbiegen nicht aufgepasst. Und jetzt im Februar rutschte ein 46-jähriger Radler auf einem mit Rollsplit übersäten Weg parallel zur Backnanger Annonay-Straße aus. Weil er keinen Helm getragen hatte, erlitt der Mann bei dem Unfall so schwere Kopfverletzungen, dass er auf dem Weg ins Krankenhaus starb.

Von der „Vision Zero“ – einer Welt ohne Unfälle – ist man weit entfernt

Statistisch machen sich diese drei Radunfälle allerdings nicht alle bemerkbar – der verunglückte Grundschüler etwa war mit einem Kinderrad unterwegs, das nicht der Straßenverkehrsordnung entspricht. Deshalb wird der Unfall von der Polizei nicht als Radunfall gewertet. Rechnet man wie die Polizei Kalenderjahr für Kalenderjahr, hat es in den vergangenen drei Jahren offiziell jeweils nur einen Unfall gegeben, bei dem ein Radfahrer ums Leben kam – und damit nicht mehr als in den Jahren zuvor.

Andreas Schwager, der Kreisvorsitzende des ADFC, ist trotzdem beunruhigt: „Wir beobachten seit zwei bis drei Jahren, dass zwar die Zahl der Verkehrstoten insgesamt zurückgeht, die Zahl der tödlich verunglückten Radfahrer dagegen aber wieder ansteigt“, sagt er. Bundesweit waren die Radunfälle im Jahr 2013 auf einen historischen Tiefstand gesunken – damals sind 354 Radfahrer verunglückt, so wenige wie nie zuvor. Doch danach ist die Zahl der Verunglückten wieder angestiegen. Im Jahr 2020 waren es 426 Radfahrer bundesweit, 58 davon verunglückten in Baden-Württemberg. Von der „Vision Zero“, die die Bundesregierung ausgegeben hat, ist also nicht nur der Rems-Murr-Kreis weit entfernt.

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Jeder Ort, an dem sich ein Unfall ereignet habe, werde später gründlich überprüft, sagt Torsten Sobotta, der Radsicherheitsbeauftragte des Rems-Murr-Kreises: „Wir schauen uns dann an, wie die Wegeführung und die Sichtachsen verlaufen.“ Bei diesen Begehungen sind in der Regel Vertreter aller Behörden dabei. Auch mit dem ADFC arbeite man zusammen. Aus Andreas Schwagers Sicht wäre es allerdings wünschenswert, Städte und Landkreis hätten eine feste Kommission, die automatisch in Aktion tritt, sobald sich ein Unfall ereignet – und dann auch darauf dringen kann, dass Mängel schnell behoben werden.

Der Abstand zu den geparkten Autos wurde vergrößert

Ein Ort, an dem aus Schwagers Sicht eine Nachbesserung dringend notwendig wäre, ist beispielsweise die Aspacher Straße in Backnang. Auf der abschüssigen Straße ist schon vor längerer Zeit ein Radfahrer tödlich verunglückt. Damals öffnete ein neben dem Radweg parkender Autofahrer die Tür, ohne auf den Verkehr zu achten. Der Radfahrer konnte nicht mehr ausweichen, stürzte und verletzte sich dabei so schwer, dass er starb. Der Abstand sei dort zu knapp bemessen gewesen, kritisiert Schwager.

Tobias Großmann, der die Leitung des Stadtplanungsamtes im vergangenen Jahr übernommen hat, kennt den Fall. Inzwischen habe man in der Aspacher Straße einen Sicherheitsstreifen von einem halben Meter zwischen Radstreifen und geparkten Fahrzeugen geschaffen, sagt er. Ein Umbau in Sachen Hochwasserschutz sei die willkommene Gelegenheit gewesen, dort etwas für die Radsicherheit zu tun, sagt er.

Großmann ist selbst leidenschaftlicher Radfahrer. Er registriert deshalb schon lange, wie die Zahl der Radler in Backnang zunimmt – und das, obwohl Backnang genau wie Stuttgart keine radfahrerfreundliche Topografie hat. Dank leistungsfähiger E-Bikes, sagt er, gebe es immer mehr Menschen, die mit dem Rad zur Arbeit pendeln – und gleichzeitig bringe der beliebte Murr-Radweg auch mehr Touristen in die Stadt.

Der Mix kann funktionieren – wenn alle Rücksicht nehmen

Anders als ADFC-Experte Andreas Schwager muss Großmann allerdings das Radfahren von der vorhandenen Infrastruktur aus denken. Pendler, Tagestouristen und Schüler, sagt der 43-jährige Stadtplaner, unterschieden sich nicht nur durch ihre Bedürfnisse, sondern auch durch ihr Fahrverhalten. Deshalb will Großmann die Gruppen auf unterschiedlichen Wegen durch die Stadt führen. Für die Tagestouristen gibt es im Bereich Obere Walke entlang der Murr einen breiten Weg, den Fußgänger und Radfahrer gemeinsam benutzen. Dem ADFC ist die gemischte Nutzung ein Dorn im Auge. Großmann dagegen ist überzeugt, dass der Mix funktioniert – wenn sich auch die Radfahrer an die Regeln halten und Rücksicht nehmen.

Allzu oft ignorierten Radfahrer jedoch innerorts Ampeln, sagt er. Mit solchen Nachlässigkeiten gefährdeten sie vor allem sich selbst. „Radfahrer müssen geschult werden“, sind sich Stadtplaner Großmann und der Radsicherheitsbeauftragte des Kreises Sobotta deshalb einig. Der Rems-Murr-Kreis bietet seit 2021 mit dem württembergischen Radsportbund und dem ADFC Sicherheitsschulungen unter dem Titel „Radspaß – sicher e-biken“ kostenfrei an.

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Angesichts steigender Spritpreise werden wohl im Sommer noch mehr Autofahrer auf das Rad umsteigen als in den beiden vergangenen Jahren. Die Nachfrage nach den Workshops ist groß, die ersten waren schnell ausgebucht. Das Bewusstsein, dass man für die eigene Sicherheit etwas tun muss, scheint da zu sein. Vielleicht ist das Ziel, bald keine Unfälle mehr zu haben, näher als gedacht – wenn alle mitdenken.

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