Zwei angeklagte Brüder und ein Fall von räuberischer Erpressung nach Mitternacht in Leonberg – was auf den ersten Blick glasklar schien, verschwand im Verlauf der Verhandlung vor dem Amtsgericht Böblingen immer mehr im Nebel. Am Ende zog der Richter die Notbremse.
Das Geschehen stellte sich als äußerst diffus dar: Nicht nur, weil der Geschädigte, dessen Geldbeutel entwendet wurde, zum Tatzeitpunkt nach einer ausgiebigen Kneipentour um die zwei Promille Alkohol intus hatte und dementsprechend große Erinnerungslücken. Nach fünf von zehn geladenen Zeugen, die meisten davon Polizeibeamte und nach fast eineinhalb Jahren ebenfalls nicht mehr auf der Höhe des damaligen Geschehens, entschied der Richter Ralf Rose nach Rücksprache mit den Schöffen, das Verfahren einzustellen. Er hob zudem den Haftbefehl gegen den älteren der beiden Beschuldigten auf.
Opfer erinnert sich auch nicht mehr
Doch zurück zur Tat: Es war in einer Nacht Mitte November des Jahres 2022, als das heute 63-jährige Opfer stark alkoholisiert auf dem Heimweg von einer Zechtour war. Im Bereich des Leo-Centers habe sich ihm nach Aktenlage ein vollbärtiger Mann mit „südländischem Aussehen“ bedrohlich in den Weg gestellt und mit dem Ausspruch „Gib mir Geld, sonst kriegst du aufs Maul!“ seine Barschaft gefordert. Daran konnte sich der Geschädigte jetzt nicht mehr erinnern. Ebenso wenig, wie der Angreifer genau ausgesehen habe. „Es war nachts“, meinte er entschuldigend. Und überhaupt seien nur 50 oder maximal 100 Euro in der Geldbörse gewesen, spielte er den Vorfall herunter und wollte auch keinen der beiden jungen Männer auf der Anklagebank identifizieren.
Wie war die Polizei in der Hektik der Tatnacht, als der Geschädigte mit seiner ersten Schilderung auf dem Leonberger Polizeirevier erschienen war, auf das Duo gekommen? Mittels eines Airtags, über den der gestohlene Geldbeutel rund 250 Meter vom Tatort entfernt im Bereich der Wohnung der 29 und 19 Jahre alten Verdächtigen geortet wurde.
Angeklagte verdächtigen Kumpels
Mehrere Polizeistreifen fuhren zur Klärung zur Wohnung der Verdächtigen. Dort wurden die Beamten aus einem offenen Fenster zunächst mit Beleidigungen bedacht, und anschließend wurden eilig die Rollläden heruntergelassen. Eine anschließende Durchsuchung förderte jedoch nichts Belastendes zutage, weitere in der Wohnung befindliche Personen wurden nicht polizeilich vernommen. Auf diese schob zumindest der jüngere der zur Zeit arbeitslosen Brüder, die beide von Anfang an ihre Unschuld beteuerten, jetzt die Tat. „Habt ihr das gemacht?“, hätte er noch in der Tatnacht die Kumpels gefragt und einer hätte sofort bejaht.
Der Geldbeutel wurde mittels Airtag entdeckt
Tatsache bleibt, der verschwundene Geldbeutel wurde drei Tage später ohne Inhalt und Ausweis im Bereich der Tiefgarageneinfahrt des Hauses der Angeklagten sichergestellt. Wer die Tat begangen hat, konnte das Verfahren nicht klären. „Bei ihnen bleibt sicher was übrig“, sagte der Richter in der Begründung zur Verfahrenseinstellung zum älteren Angeklagten. Die „kleineren Taten“ der Beleidigung von Beamten seien durch die vorherige Haft gesühnt.