Die seltene und stark riechende Blüte der Titanwurz kann augenblicklich in der Wilhelma bestaunt werden. Die Pflanze blüht nur alle paar Jahre.

Stuttgart - Liebe Titanwurz! In der Wilhelma läuten die Hochzeitsglocken. Du als Braut hast Dich atemberaubend herausgeputzt. Als Du am Donnerstag in voller Schönheit erblüht bist, ging von Dir der Duft "Wildlife No. 5" aus. Man könnte auch sagen, Du hast gerochen wie ein vom Jeep überfahrenes Zebra, das zwei Tage in der Sonne gelegen hat.

 

Klingt geschmacklos, ist es aber nicht. Zumindest nicht für die Käfer und Fliegen, die sich von eben jenem Parfüm geradezu magisch angezogen fühlen. Wenn Du, liebe Titanwurz, alle paar Jahre in der Wilhelma Deine kolossale Blüte zeigst, lockst Du mit Deinem Geruch ganze Heerscharen von Käfern und Fliegen an. Die Vermählung zwischen Titanwurz und Insekten ist beileibe keine Amour fou: Du brauchst die Fliegen, weil sie sich beim Bad in Deinem gewaltigen Blütenkelch mit Pollen bestäuben und mit ihrem fruchtbaren Päcklein dann zur nächsten Titanwurz schweben. Mit Facettenaugen betrachtet, ist die Angelegenheit durchaus romantisch.

Dem Vernehmen nach zeigt sich der Zoo erleichtert darüber, dass die Riesenpflanze von Fliegen und nicht von Elefanten bestäubt wird. Liebestrunkene Dickhäuter, die wie von Sinnen auf der Suche nach Deiner Blüte durch die Anlagen trampeln, hätten der Wilhelma gerade noch gefehlt.

Die Blüte ist im Maurischen Landhaus zu sehen

Schöne Titanwurz, Deine Liebe stinkt nicht. Zur Vermählung mit dem Geschmeiß hast Du Dich aber mal wieder aufgeführt, wie eine Braut, die sich nicht recht traut. Tagelang bist Du in die Höhe geschossen, hast mehrfach mit einem Knacken das Öffnen Deiner Blüte angetäuscht und hast Dich dann doch wieder geziert. Im Zoo nennen sie Dich deshalb schon la Diva.

Noch bis am Donnerstag Abend soll Deine Blüte im Maurischen Landhaus zu sehen sein. Doch wie immer zeigt sich in der frisch erblühten Schönheit schon das erste Anzeichen für einen baldigen Verfall: Bereits jetzt ähnelt Dein einst so stolz aufgerichteter Blütenstandskolben der geknickten Zipfelmütze eines Gartenzwergs. Eines Gartenzwergs mit Depressionen.

Egal, die Insekten stört das nicht. In Stuttgart geht es an diesem Wochenende übrigens immer nur der Nase nach. Wer seinem Geruchssinn folgt, der landet unweigerlich beim Fischmarkt. Auch dort ist allerlei geboten: Angelockt vom Duft von Bratheringen, Backfischen und Junggesellen tummeln sich die Menschen auf dem Karlsplatz. Da und dort wabern Parfümwolken vorbei, sanft rauschen die Hormone.

Der Fisch auf dem Markt ist tot, aber die Besucher geben sich dem Spiel der Käfer und der Fliegen hin. Auch das ist Wildlife. Die Buschtrommeln haben es mir verraten.

Viele Grüße, Erik Raidt