Der Skandal um den Häftling, der im Bruchsaler Gefängnis starb, wirft die Frage nach der Verantwortung des Justizministers auf. Denn Hungertote in den Gefängnissen darf ein Rechtsstaat nicht zulassen, meint der StZ-Redakteur Reiner Ruf.

Stuttgart - Am 9. August fanden Bedienstete der Justizvollzugsanstalt Bruchsal den 33-jährigen Rasmane K. tot in dessen Zelle. Wie sich herausstellte, starb der Mann aus Burkina Faso, der wegen seiner Neigung zur Gewalt schon länger in Einzelhaft saß, den Hungertod. In den letzten Tagen seines Lebens saß er auch nicht mehr, sondern lag apathisch auf seiner Pritsche. Aus der Klappe in der Zellentür, über welche die Beamten Kontakt zu Rasmane K. hielten, roch es streng. Für die Verwahrung in Einzelhaft fehlte zuletzt die Genehmigung des Justizministeriums.

 

Das sind die nüchternen Fakten, die Baden-Württembergs Justizminister Rainer Stickelberger seit Wochen zusetzen. Und wie das so ist, wenn ein spektakulärer Fall das Interesse der Öffentlichkeit auf eine wenig beachtete – im Fall des Strafvollzugs von ihrem Wesen her dunkle – Materie lenkt, kommen immer mehr Merkwürdigkeiten ans Licht. Es verhält sich wie mit den nur schwer zu fassenden Tiefseefischen, deren bizarre und gespenstische Formen uns schaudern lassen. Wir erfahren, dass Rasmane K. nicht der einzige Gefangene war, der ohne gültige Genehmigung in Einzelhaft saß. Wir hören von Vollzugsbediensteten, die in Häftlingskleidung, Handschellen und mit geschwärztem Schädel posieren, wir nehmen Meldungen von Selbsttötungen und Massenschlägereien beim Hofgang zur Kenntnis.

Die Kritik trifft einen geschätzten Politiker

Als größtes Berufsrisiko eines Justizministeriums galt bisher der Ausbruch eines Sexualmörders. Ein Hungertoter aber ist neu in der Geschichte des Landesjustiz. Die Kritik, die jetzt auf den SPD-Mann Stickelberger einprasselt, trifft einen so besonnenen wie uneitlen, auch jenseits der eigenen Partei geschätzten Politiker. Eine persönliche Verfehlung ist dem Justizminister nicht vorzuhalten – sieht man einmal davon ab, dass er vorschnell ein Behördenversagen ausschloss und auch sonst zu vertrauensselig mit seinen Leuten im Ministerium umging. Dass er jetzt den Leiter der Strafrechtsabteilung in den Ruhestand entlässt, geht trotz des verlogenen Protests der Opposition völlig in Ordnung.

In der jüngeren Landesgeschichte waren es stets persönliche Verfehlungen, die Minister zur Demission zwangen: Das galt für Andreas Renner (allzu lockeres Mundwerk), Walter Döring (Falschaussage in einer Spendenaffäre), Corinna Werwigk-Hertneck (Verrat von Dienstgeheimnissen), Hermann Schaufler (Untreue). Dergleichen Vorwürfe stehen gegen Stickelberger nicht im Raum. Allerdings gibt es auch eine politische Verantwortung, die ein Minister zu übernehmen hat, wenn in seinem Amtsbereich ein wirklich gravierendes Versagen festzustellen ist. Ein nobles Beispiel gab der vormalige Bundesinnenminister Rudolf Seiters, der 1993 sein Amt niederlegte, als nach einem missglückten Polizeieinsatz der – später widerlegte – Vorwurf auftauchte, der RAF-Terrorist Wolfgang Grams sei von GSG-9-Polizisten mittels Kopfschuss hingerichtet worden.

Die Frage nach dem Rücktritt ist legitim

Ist denn nun der Hungertod des Rasmane K. ein derart gravierendes Ereignis, das einen Minister zu der Überlegung führen kann und muss, die politische Verantwortung zu übernehmen – und zurückzutreten? Die Antwort lautet: Ja, und zwar dann, wenn die Staatsanwaltschaft zu dem Ergebnis käme, dass der Mann mutwillig oder fahrlässig sich selbst überlassen wurde. Rasmane K. hatte schwere Schuld auf sich geladen. Er tötete seine Lebensgefährtin und schlug einen Strafvollzugsbeamten in die Dienstunfähigkeit. Aber er war allem Anschein nach auch ein psychisch kranker, in Wahnvorstellungen gefangener und medizinisch hilfsbedürftiger Mensch. Der Rechtsstaat bewährt sich nicht in Sonntagsreden. Wirklich stabil ist er nur, wenn er das Recht auch denen angedeihen lässt, die sich ihm widersetzen. Dafür Sorge zu tragen ist Aufgabe der Politik, besonders eines Justizministers.