Durch „Servets Kebaphaus“ strömt der typische Geruch von Fleisch am Spieß. Wer hierhin kommt, hat Lust auf Döner oder was die Speisekarte sonst noch bietet. Doch der Inhaber Servet Erol darf sich von dem Geruch seiner eigenen Speisen nicht betören lassen: Er fastet und gehört mit seiner Familie zu den Muslimen, die den Ramadan begehen. An diesem Mittwoch ist die Geduldsprobe dann zu Ende: Dann wird bei den Erols und weltweit Id al Fitr gefeiert, das in der türkischen Kultur auch Bayram oder Zuckerfest genannt wird.
Der Fastenmonat gehört zu den wichtigsten religiösen Übungen im Leben der Muslime, ist aber weit mehr als ein religiöses Ritual. Es hat eine große soziale Bedeutung, und das in zweierlei Hinsicht. Zum einen, weil man sich untereinander häufiger trifft als in anderen Monaten und zusammen abends beim sogenannten Iftar das Fasten bricht. „Wir sitzen nach dem Essen oft noch lange zusammen, sprechen miteinander, trinken Tee“, beschreibt Servet Erol einen solchen Abend.
Zum anderen ist der Ramadan ein sozialer Monat, weil das Fasten an all jene denken lässt, die aus Armutsgründen immer am Limit leben. „Im Ramadan verstehen wir, wie Menschen leben, die wenig haben“, erklärt Servet Erol. Und: Durch den Verzicht lerne man zu schätzen, was man hat, sagt seine Frau Hülya. Es entstehe Dankbarkeit.
Der Ramadan hat auch eine soziale Funktion
Die gegenseitigen Besuche finden in Deutschland vor allem an den Wochenenden statt, denn unter der Woche arbeiten die meisten ganz so, wie sie es sonst auch tun. Und die Kinder gehen ganz normal in die Schule, wenn nicht, wie in den vergangenen zwei Wochen, gerade Ferienzeit ist. Diese Ferienzeit ist nicht garantiert, denn der Fastenmonat wandert mit dem Mondkalender, der weniger Tage als das Sonnenjahr hat und sich daher Jahr für Jahr verschiebt. Das bedeutet: Im Sommer ist das Fasten in diesen Breitengraden schwieriger, weil die Tage länger sind, im Winter dagegen einfacher.
Denn Fasten bedeutet für die Erols und die vielen anderen Fastenden unter den zwei Milliarden Muslimen weltweit: Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang wird nichts getrunken und gegessen. Es bedeutet noch viel mehr, weil es auch ein Monat der guten Taten, des Spendens und der Gebete ist. Aber wahrgenommen wird von der Außenwelt vor allem, dass am Tag weder gegessen noch getrunken wird, und daraus ergeben sich auch die meisten Fragen von Menschen, die mit dem Islam weniger vertraut sind.
In Servet Erols Restaurant wird er kaum darauf angesprochen, aber seine Frau Hülya und die zehnjährige Tochter Berfin kennen die Fragen von der Arbeit und der Schule, und nicht immer drücken sie Neugierde aus – sie kommen zuweilen auch im Gewand eines Vorwurfs daher. Hülya Erol, die bei der Arbeitsagentur angestellt ist, meint, viele Kolleginnen und Kollegen wollten einfach nur wissen, warum. Ohne Hintergedanken. So ist es auch in der Schule – mal offen und freundlich, aber manchmal auch weniger nett. Berfin bekommt Nachfragen wie „Ja, darfst du denn wirklich nichts trinken?“ oder muss sich Sätze anhören wie „ich würde das abbrechen“. Nicht immer kommen diese Ratschläge in einer Tonlage, in der sie als gut gemeint wahr genommen werden könnten. „Ich mache das, weil ich das will“, betont Berfin. Die Eltern bestätigen: Gezwungen wird in der Familie niemand. „Wir sind nicht streng damit“, sagt ihre Mutter. „Wir überlassen es den Kindern, ob und wie viel sie fasten wollen.“ Berfin begann bereits mit acht, neun Jahren, mal einen Tag oder ein ganzes Wochenende zu fasten.
„Jeder ist für sich selbst verantwortlich“
Berfins Vater Servet Erol betont die Freiwilligkeit: „Man darf niemanden schlecht behandeln, wenn er nicht fastet. Man weiß doch nicht, warum jemand fastet oder nicht. Da ist jeder für sich selbst verantwortlich, und ich auch nur für mich.“
Tatsächlich gibt es im Regelwerk des Islam eine Reihe von Ausnahmen, in denen entweder nicht gefastet werden muss oder womöglich auch gar nicht gefastet werden darf. Kranke zum Beispiel sind befreit. Das betrifft den 15-Jährigen Sohn Berkay. Er hat Diabetes – allein die notwendige medikamentöse Behandlung würde das Fasten absurd machen. In seiner Schule in Plochingen sind jedoch viele Kinder aus muslimischen Familien, die fasten. Wenn Berkay etwas essen muss, macht er es im Ramdan nicht öffentlich. „Aus Respekt“, sagt er. Er möchte nicht, dass die anderen Kinder Lust aufs Essen bekommen und so das Fasten schwieriger wird für sie.
Als besonders schwierig beschreiben die Erols das Fasten jedoch nicht. Servet meint, es sei eine Kopfsache. „Wenn ich morgens, bevor die Sonne aufgeht, etwas esse, nehme ich mir vor zu fasten. Das ist dann gar nicht so schwierig.“ Hülya Erol beschreibt, dass die ersten drei, vier Tage schwieriger seien, auch mit Kopfschmerzen verbunden. „Dann aber hat sich der Körper daran gewöhnt.“ Und mit der Zeit auch der Magen. Selbst beim Fastenbrechen am Abend komme kein Heißhunger auf – man sei sehr viel schneller satt als sonst.
Nun ist der Fastenmonat vorbei, die Erols freuen sich auf das bevorstehende Fest. Die Vorbereitungen zum Id al Fitr sind in den islamischen Familien und Gruppen sowie den Moscheen bereits in vollem Gange. „Es ist wie Steuern bezahlen, das ist auch eine Pflicht“, macht Servet Erol einen ungewöhnlichen Vergleich. „Einen Monat zahlen wir Steuern, die anderen elf verbuchen wir als Gewinn.“ Mit dem Zuckerfest bricht die Gewinnzeit wieder an.
Die wichtigsten Elemente der islamischen Religion
Fünf Säulen
Der Islam bezeichnet die wichtigsten Grundsätze als Säulen, von denen es fünf gibt: das Glaubensbekenntnis, das Gebet, das Fasten im Ramadan, die Pilgerfahrt nach Mekka sowie Spenden.
Fasten
Einmal im Jahr fasten Muslime einen Monat lang. Die islamischen Monate berechnen sich nach dem Mondkalender – das Jahr ist etwas kürzer als das Sonnenjahr. Gemessen am Sonnenjahr findet daher der Ramadan nie zur gleichen Zeit statt, sondern rückt immer einige Tage nach vorne. Ausnahmen vom Fasten sind erlaubt. Für Reisende, Kranke und Kinder beispielsweise ist es keine religiöse Pflicht.
Grundlage
Mit der Shahada, dem Glaubensbekenntnis, bezeugen Muslime, dass sie an einen einzigen Gott glauben sowie an die Prophetenschaft von Mohammed, welcher nach islamischem Glauben die Botschaften Gottes zwischen 610 und 632 empfing. Diese Botschaften sind im Koran niedergeschrieben.