Am Samstag hat der Fastenmonat Ramadan begonnen. Für viele der rund 60.000 in Stuttgart lebenden Muslime bedeutet das eine Herausforderung, wenn sie tagüber arbeiten. Doch die Beteiligung ist groß. Die Religiosität vor allem unter jungen Muslimen wächst.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Im Restaurant Dedemoglu an der Feuerbacher Mauserstraße ist noch nicht viel los. Es ist schon bald 21 Uhr, aber nur wenige Tische des 300 Plätze fassenden Gastraumes sind besetzt, kaum einer isst etwas. Nur an der Bäckertheke des Kebap & Baklava Salonu ist Betrieb, die Kunden tragen lange Fladenbrote heraus. „Heute kaufen die Leute vor allem Brot und Süßigkeiten“, sagt Hüsseyin Sörer.

 

Das Iftar-Essen beginnt um 21.37 Uhr

Es ist der erste Tag des islamischen Fastenmonats Ramadan. Noch hat das Fastenbrechen, das traditionelle Iftar-Essen, das jeden der 30 Fastentage abschließt, nicht begonnen. Auf einer Theke, in deren Vitrine Pyramiden türkischen Gebäcks stehen, liegt ein Stapel mit Hochglanzblättern. Unter einem Foto der Istanbuler Sultan-Ahmed-Moschee findet sich eine Liste, die alle Tage des Ramadan aufführt, mit genauen Angaben, wann das Fasten beginnt, wann die Gebetszeiten anstehen und wann genau die Gläubigen wieder essen dürfen. Der erste Fastentag hat am Samstag um 3.52 Uhr begonnen, das Fastenbrechen ist für 21.37 Uhr angesetzt.

„Der erste Tag ist der Schlimmste“, sagt Eylem Kolcak. Sie arbeitet heute schon seit bald acht Stunden hinter der Theke des Dedemoglu und ist froh, dass sie bald heim kann. „Das Essen wäre nicht so schlimm, aber das Trinken“, gibt die junge Frau mit dem langen schwarzen Haar zu, gerade wenn man dauernd rumrennen und reden müsse. „Ich mach es trotzdem“, fügt sie sogleich hinzu. „Wenn man sich nach ein paar Tagen daran gewöhnt hat, geht’s.“

Viele Muslime halten die Fastenpflicht ein

Auch wenn es heute viele der rund 60 000 Muslime in Stuttgart mit dem fünfmaligen Gebet am Tag nicht mehr so genau nehmen: mit dem Ramadan ist das anders. „Das Fasten ist immer noch sehr verbreitet“, sagt Ali Ipek: „Der größte Teil der Leute hält sich daran.“ Der 33 Jahre alte Islamwissenschaftler ist Landesbeauftragter für den interreligiösen Dialog von DITIP (Diyanet İIsleri Türk İIslam Birligi). Der Dachorganisation, die der Aufsicht des staatlichen Präsidiums für Religiöse Angelegenheiten der Türkei untersteht, gehören in Württemberg 96 Moscheegemeinden an, auch Stuttgarts größte Moschee in der Mauserstraße. Sie ist Teil eines Komplexes von Dienstleistungsangeboten, das von Restaurants, Textilgeschäften und Reisebüros bis zum Bestattungsinstitut reicht.

Mehr als in den Restaurants an der Straße, die im Volksmund gerne „Klein-Istanbul“ genannt wird, ist im Augenblick in einem Versammlungsraum der Moschee los. Die langen, mit weißen Kunststofftüchern bedeckten Tische sind gut gefüllt. Vor allem Männer haben sich zum Iftar-Essen eingefunden, ältere wie junge, und eine Gruppe von Frauen, die Kopftuch tragen. Es herrscht eine ruhige Atmosphäre in dem nüchternen und schmucklosen Raum, es wird leise gesprochen, einige lesen Zeitung.

Es soll auch eine Speisung für Bedürftige sein

An der Wand hängen Listen mit den Tagen des Ramadan, dahinter ein Feld, in das man sich eintragen kann. „Das Iftar-Essen wird immer von jemandem aus der Gemeinde gespendet“, erzählt Ali Ipek. „Der Gedanke ist, dass auch Bedürftige hier essen können.“ Neben religiöser Besinnung gehören Wohltaten wie diese zum Geist des Ramadan. „Wir leben in einer Wohlstandsgesellschaft, das spüren wir im Ramadan am eigenen Leibe“, sagt Ali Ipek. „Da baut man wieder Empathie für die Armen auf.“

Plötzlich erheben sich alle, es ist 21.37 Uhr, vor der Essensausgabe bildet sich eine Schlange. Es gibt Linsensuppe, mit Kartoffeln gekochtes Lammfleisch, Reis und Salat. Doch zuerst isst man Datteln, die neben Fladenbrot und Melonenstücken auf dem Tischen stehen, wie es nach der Überlieferung auch Mohammed getan hat.

Die ersten Tage gehören der Familie und Freunden

Im Innenhof des ehemaligen Industriegebäudes geht es auch gegen 22.30 Uhr noch sehr ruhig zu. An den Billardtischen des Freizeitraumes spielt keiner, das Restaurant wartet auf Gäste, nur im Gebetsraum der Moschee trifft man einige Gläubige. „Die Leute sind alle noch zuhause“, sagt Ismail Cakir, der Vorsitzende der Moscheegemeinde, bei einem Glas Tee. Die ersten Tage des Ramadan gehören der Familie, Freunden und Nachbarn, mit denen man das Fastenbrechen begeht. „Aber in einer halben Stunde ist hier alles voll“, sagt Cakir.

Während der Imam der Moschee ein paar Ausführungen zum Ramadan macht, die über Lautsprecher in den spärlich beleuchteten Innenhof übertragen werden, treten immer mehr Gläubige ein. „Haltet euch von Schlechtem fern und reinigt euch innerlich“, übersetzt Islamwissenschaftler Ali Ipek die Worte des Religionsgelehrten. Die Regale im Foyer des Gebetsraums füllen sich mit Schuhen. Als um 22.53 Uhr das Teravih-Gebet beginnt, sind es zwar nicht so viele wie mitunter beim Freitagsgebet, wenn in allen verfügbaren Räumen der Moschee bis zu 2000 Gläubige zusammenkommen, aber einige hundert sind es schon, darunter viele junge Männer. „Die Religiosität nimmt zu“, hat Ali Ipek festgestellt. Gerade bei jungen Leuten, die nach einer Identität suchen.