Raubüberfall in Schönaich Antiquitätenhändlerin wird gleich zweimal überfallen

In der Wettgasse in Schönaich gibt es Antikes zu kaufen. Jüngst gab es hier gleich zwei Überfälle. Foto: Eibner-Pressefoto/Oliver Schmidt/ 

Gleich zweimal überfällt derselbe Mann ein Antiquitätengeschäft in Schönaich. Der Täter, ein 78-jähriger Senior, wird festgenommen. In Untersuchungshaft kommt er aber vorerst nicht.

Böblingen: Martin Dudenhöffer (dud)

Rosemarie Krug hatte eine böse Vorahnung, als sie am 22. Juli aus ihrem Antiquitätengeschäft in Schönaich nach draußen auf die Straße geschaut und den älteren Herrn mit der Stofftasche beobachtet hat. Gebrechlich und zerstreut habe der Mann schon von weitem gewirkt. Dass der Senior nicht als interessierter Kunde den Antiquitätenladen aufsucht, sondern innerhalb von zehn Tagen gleich zwei Überfälle auf den Laden in der Wettgasse verüben wird, das hätte die erfahrene Verkäuferin aber nicht für möglich gehalten.

 

„Mir war aufgefallen, dass der Mann etwas verloren vor seinem Auto stand und zitterte. Da er zögerte, die Straße zu passieren, haben Passanten offenbar angeboten, ihn bis zur anderen Straßenseite zu geleiten. Ich dachte mir, dass er vielleicht gesehen hat, dass ich im Laden bin und nicht eine meiner Töchter und deshalb nicht kam“, erzählt die 80-Jährige unserer Zeitung. Zwar fuhr der Mann noch einmal kurz weg, kehrte aber nach wenigen Minuten wieder zurück. Nun betrat er doch das Geschäft, bekleidet mit dunkelblauem T-Shirt, Jogginghose, blauer Basecap und Coronaschutzmaske. In seiner Hand eine Stofftasche und verdeckt – ein Küchenmesser mit langer Klinge. Das zeigt die Videokamera des Antikladens.

Mit Küchenmesser die Verkäuferin zu Tode erschreckt

„Ich begrüßte den vermeintlichen Kunden und fragte, was ich für ihn tun könne. Ein Gespräch war aber schwierig, weil er kaum redete und nur nuschelte. Ich meine, die Worte ‚Gold, Gold’ verstanden zu haben“, erinnert sich Krug. Plötzlich, so die Schönaicherin, habe er das Messer hervorgezogen, zwar nicht direkt in ihre Richtung, dennoch so, dass sie die Waffe bemerkte. Daraufhin habe der Senior wortlos und ohne Beute den Laden verlassen und sei davongefahren. Rosemarie Krug rief die Polizei und berichtete von dem versuchten Überfall. Zu Überraschung der seit 40 Jahren im Laden beschäftigten Dame wurde der Vorfall nicht als Raubüberfall eingestuft: „Eine Beamtin sagte mir, dass dies kein Raubüberfall war, da ich nicht direkt körperlich bedroht wurde.“

Es sollte aber nicht bei dem einen „Besuch“ des Mannes bleiben. Zehn Tage später soll ein für Rose Krug zweites, noch beängstigenderes Aufeinandertreffen mit dem Senior folgen. „Beim zweiten Mal war er schicker gekleidet, mit kariertem Hemd und einer dunklen, nach hinten gedrehten Schiebermütze. Er trug eine Sonnenbrille und eine Coronamaske. Auf der Wange klebte ein Pflaster. Er stammelte ‚Geld, Geld’. Dabei richtete er mir die Pistole an den Kopf. Ich erwiderte, dass ich nur zwanzig Euro hätte. Diese legte ich ihm dann in die geöffnete Stofftasche.“ Die Bemerkung der 80-Jährigen, dass er in einem ähnlichen Alter wie sie sein müsste und seine Taten überdenken solle, ignorierte er und fuhr davon.

Schneller Ermittlungserfolg durch die Polizei

Am 4. August, nur drei Tage nach dem letzten Überfall mit einer Beute von gerade einmal zwanzig Euro und eine öffentliche Fahndung inklusive Fotos aus der Videokamera später geht der flüchtige Mann der Polizei ins Netz. Er wurde von einem aufmerksamen Bürger erkannt und von der Polizei in der Böblinger Innenstadt festgenommen. Wie die Polizei am Dienstagabend mitteilt, ist der mutmaßliche Täter 78 Jahre alt und wohnt in einer Schönbuchgemeinde. Den zweiten Überfall hat er mit einer Schreckschusspistole begangen. Die Tatwaffen, jene Pistole und das Messer, hat die Polizei in der Wohnung entdeckt und sichergestellt.

Die Überfallene wie auch ihre Familie rätseln über das Motiv des Mannes, den sie alle vor den Taten am 22. Juli und am 1. August bereits vor dem Ladengeschäft gesehen haben. Womöglich, stellt Rose Krug in den Raum, hätte der Mann mit dem Überfall persönliche Rache an ihr üben wollen, weil er sich bei einem Verkaufsgespräch über Schmuck finanziell unter Wert verkauft gefühlt haben könnte. Erinnern kann sich die 80-Jährige an eine solche Situation zwar nicht, dennoch hält die Inhaberfamilie die Version für nicht völlig aus der Welt gegriffen.

Zum Motiv hält sich die Polizei bedeckt

Zum möglichen Motiv äußert sich die Polizei gegenwärtig (noch) nicht. Da es sich um ein laufendes Strafverfahren handelt, bleiben Anlass der Tat und die genauen Hintergründe des mutmaßlichen Täters geheim. Zwar ermittelt die Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen den Senior, in Untersuchungshaft muss der 78-Jährige allerdings vorerst nicht. Das hat ein Ermittlungsrichter entschieden. „Der Tatverdächtige musste wieder entlassen werden, da nach Prüfung aller relevanten Umstände durch Polizei und Staatsanwaltschaft eine Untersuchungshaft rechtlich nicht möglich war. Die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit oder hier der Geschädigten steht in solchen Fällen immer wieder im Widerspruch zu dem, was auf Grundlage des Gesetzes tatsächlich rechtlich umsetzbar ist“, erläutert Steffen Grabenstein, Pressesprecher im Polizeipräsidium Ludwigsburg.

Betroffene hätte sich härteres Durchgreifen gewünscht

Ob rechtskonform oder nicht, für Rosemarie Krug ist die Entlassung des mutmaßlichen Räubers aus den Händen der Justiz nicht verständlich. „Der Mann hat mich zu Tode erschreckt. Er war bewaffnet. Auch wenn ich ruhig geblieben und nicht hysterisch geworden bin, hatte ich Angst. Jetzt könnte er jederzeit wiederkommen. Deswegen hätte ich mir erhofft, dass er eingesperrt wird“, sagt sie.

Diese Angst hält weiter an, wie die Schönaicherin erklärt: „Ich möchte vorerst nicht mehr alleine in unserem Laden sein. Selbst zu Hause schaue ich ständig aus dem Fenster, um sicherzugehen, dass nichts Ungewöhnliches passiert.“ Ihr Unsicherheitsgefühl ist so groß, dass im Antikladen, in dem vor drei Jahren schon einmal ein Einbruch stattfand, auch während der Öffnungszeiten die Eingangstür verriegelt bleibt, bis eine der Töchter von Rose Krug sich sicher ist, dass der Kunde vor der Tür wirklich ein Kunde ist.

Weitere Themen

Weitere Artikel zu Schönaich Überfall Räuber Senior