In Luzern entscheidet die Raumfahrtagentur Esa, welche Projekte sie verwirklichen will. Dabei wird der Kampf um begrenzte finanzielle Mittel immer härter.

Luzern - Europa erlebt einen Spätherbst des Missvergnügens: Die Briten suchen nach dem Ausgang, aus den Niederlanden und Frankreich dröhnt populistischer Kanonendonner. Wer dieser Tage an Europa denkt, denkt an Streit und Kurzsichtigkeit – von einer gemeinsamen Vision ist schon lange nicht mehr die Rede.

 

Dieses Bild wollen die Europäer am 1. und 2. Dezember zumindest ein Stück weit korrigieren: In Luzern treffen sich die für Raumfahrt zuständigen Minister der 22 Mitgliedstaaten der Europäischen Raumfahrtagentur (Esa), um über die Finanzierung laufender und neuer Raumfahrtprojekte zu beraten. Im Vorfeld hat der Esa-Chef Jan Wörner seine Wünsche vorgelegt. Sollten die Mitgliedsländer zustimmen, würden die Europäer in den nächsten Jahren elf Milliarden Euro investieren.

Das Zauberwort lautet Space 4.0

Darin enthalten sind unter anderem der Beitrag für vier weitere Jahre Beteiligung an der Internationalen Raumstation (ISS), die Kosten für den Weltraumbahnhof in Französisch-Guayana sowie für mehrere Raumsonden-Projekte. In Luzern werden für all diese Projekte die Weichen gestellt. In der Raumfahrt gehen die Europäer dabei einem Zeitalter entgegen, das sie selbst als „Space 4.0“ bezeichnen. Aus dem einstigen Gegeneinander einiger weniger Raumfahrtnationen ist eine vielfältig verflochtene Gemeinschaft im All geworden. Neben den staatlichen Akteuren drängen immer mehr private Anbieter in den Markt (siehe Infokasten). Europa muss auch darüber entscheiden, mit wem es beim Weg in bisher unerforschte Weiten gemeinsame Sache machen will.

Vor dem Treffen in der Schweiz hat Norwegen bereits angekündigt, seine finanzielle Beteiligung von 200 auf 50 Millionen Euro kürzen zu wollen. Damit nicht genug: Es ist ungewiss, wie hoch die Beiträge Großbritanniens künftig ausfallen werden, sobald der Brexit vollzogen ist. Zwar hat die Esa mit der EU nichts zu tun, aber allein aufgrund von Wechselkursänderungen könnte sich der Beitrag ändern. Doch es gibt auch positive Signale: Der lange schwelende Streit zwischen Deutschland und Frankreich über die Weiterentwicklung der Trägerrakete Ariane ist rechtzeitig beigelegt worden. Esa-Chef Wörner gibt sich vor den Verhandlungen in Luzern optimistisch: „Sie gehen mit einigem Optimismus dorthin. Dann macht das Treffen Sie immer pessimistischer. Und bevor das Treffen endet, gibt es dann eine Lösung.“ Drei Bausteine der europäischen Raumfahrt stehen dabei im Mittelpunkt des Interesses.

Wie geht es mit der Internationalen Raumstation (ISS) weiter? Bisher haben die Europäer ihren Beitrag zum Unterhalt der Station nur bis zum Jahr 2020 fest zugesagt. In Luzern werden die Europäer voraussichtlich zusichern, dass sie sich – ebenso wie die Hauptgeldgeber USA und Russland – darüber hinaus bis 2024 an der Raumstation beteiligen werden. Dann wird es die Aufgabe der Esa sein, ein neues Servicemodul für die Station zu bauen. Diskutiert wird auch darüber, wie es mit dem Forschungslabor im Orbit nach dem Jahr 2024 weitergehen könnte. Bisher hieß es stets, die Raumstation könne auch bis 2028 sicher betrieben werden, ohne dass es größere Ausfälle geben würde. Dann wären allerdings etliche Module bereits 30 Jahre alt. Möglich wäre es, die Module auszutauschen und durch aufblasbare Anbauten zu ersetzen, wie sie das private US-Raumfahrtunternehmen Bigelow bauen will. Ein Prototyp für einen aufblasbaren Anbau wird zurzeit an Bord der Raumstation getestet. Der europäische Beitrag zur Raumstation beträgt etwa 800 Millionen Euro. Wie sicher ist die Finanzierung des Marsforschungsprojekts Exo-Mars? Am 19. Oktober hätte die erste europäische Sonde auf dem Mars landen sollen. Doch sie ist aus etwa zwei Kilometer Höhe abgestürzt und auf der Marsoberfläche zerschellt. Ein zweiter medienwirksamer Erfolg wie bei der Kometenmission Rosetta war der Esa nicht vergönnt. Die Ursache für den Absturz ist inzwischen gefunden. Nun müssen die Minister entscheiden, ob im Jahr 2020 der zweite Teil der Mission starten soll, bei dem mit genau dieser Landetechnik ein teurer Rover zum Mars gebracht werden soll. Nach so einem Missionsende dürfte es Diskussionen darüber geben, ob eine solche Fortsetzung sinnvoll ist. Das Problem: Die Esa geht derzeit von einer Finanzierungslücke in Höhe von 400 Millionen Euro aus. Was steckt hinter der Aida-Mission? Beraten wird außerdem über die Asteroiden-Mission Aida, bei der die US-Weltraumbehörde Nasa und die Esa zusammenarbeiten wollen. Zwei Sonden sollen gleichzeitig zum Asteroiden Didymos geschickt werden. Während eine der beiden Sonden gezielt zum Absturz auf dem kleinen Mond des Asteroiden gebracht wird, soll die zweite Sonde den Einschlag in allen Details dokumentieren. Die Mission soll klären, ob sich mit dieser Methode Asteroiden, die sich auf Kollisionskurs mit der Erde befinden, von ihrem Kurs abbringen lassen. Die Raumfahrtnationen sollten vorbereitet sein, warben Wissenschaftler kürzlich in Berlin für das Projekt.

Die Raumfahrt – ein umkämpfter Markt

Akteure Während des Kalten Kriegs lieferten sich die USA und die Sowjetunion einen Wettlauf ins All. Die Sowjetunion legte vor: Am 12. April 1961 umrundete Juri Gagarin als erster Mensch im All die Erde. Noch im selben Jahrzehnt folgte die Sternstunde der Amerikaner: Am 21. Juli 1969 betrat Neil Armstrong im Rahmen der Apollo- 11-Mission als erster Mensch den Mond. Heute sind zahlreiche staatliche und private Akteure in der Raumfahrt aktiv.

Europa Die Europäische Raumfahrtagentur ist maßgeblich an der ISS beteiligt. Esa-Chef Jan Wörner wirbt dafür, langfristig ein „Moon Village“ zu errichten. Auf der permanenten Basis könnten verschiedene Nationen und Unternehmen zusammenarbeiten. Das Projekt ist als Vision für eine fernere Zukunft gedacht.

USA Die Amerikaner waren die Ersten auf dem Mond – und sie wollen auch wieder die Ersten auf dem Mars sein. Die Nasa hat zuletzt Pläne vorgestellt, die verschiedene Zwischenschritte auf dem Weg zu einer bemannten Marsmission aufzeigen. Diese könnte in den 2030er Jahren stattfinden. Kritiker sagen: Die Technik ist längst noch nicht so weit.

China Die Volksrepublik ist eine Wirtschaftsmacht – und will nun auch in der Raumfahrt ihre neue Größe zeigen. China will eine eigene bemannte Raumstation aufbauen, einen Taikonauten zum Mond schicken, und natürlich hat China auch den Mars im Visier.

Firmen Die Raumfahrt erlebt seit Jahren eine umfassende Kommerzialisierung. Vor allem die Nasa will mit privaten Anbietern kooperieren. Dazu zählen SpaceX, gegründet vom Tesla-Chef Elon Musk, die Firma Blue Origin des Amazon-Gründers Jeff Bezos, sowie die Unternehmen Orbital und Sierra Nevada.