Der US-Autor, der Am Sonntag neunzig Jahre alt wird, hat 1950 in den "Mars-Chroniken" von der Eroberung des Roten Planeten erzählt.

Stuttgart - Die Kühlschränke werden immer größer werden, die Autos auch. Im Amerika nach dem Zweiten Weltkrieg war dies durchaus eine Zukunftsvision. Es war so etwas wie die Grundlage der kommenden Eisenhower-Ära, dieses Bild bürgerlichen Wohlstands, bequemen Konsums und friedlicher Entrücktheit in der Vorstadt. Was dieses Paradies bedrohte, das war der Kommunismus, der in Moskaus Riesenreich Atomraketen hortete und im Inneren der USA angeblich Wühlarbeit betrieb. Der Kampf um die Zukunft war einer, der entlang vertrauter Fronten stattfinden konnte.

Zurücklassen, woran man hängt


Der junge Autor Raymond Douglas Bradbury aus Los Angeles aber gehörte zu jenen Dissidenten, die eine größere Unruhe spürten. Er gehörte zu denen, die Zukunft als Veränderung begriffen, die sich vorstellen konnten, dass man eben nicht am Endpunkt eines Weges angekommen war und sich jetzt ein Haus baute, sondern dass man immer schneller unterwegs sein würde - und dass man vielleicht sehr viel zurücklassen musste, an dem man hing.

Bradbury, der am Sonntag neunzig Jahre alt wird, gilt heute längst als Klassiker der Science-Fiction und bei aufgeschlossenen Menschen auch als wichtiger Autor des 20. Jahrhunderts. Damals aber galt er, wie andere neugierige Gesinnungsgenossen, wie Kurt Vonnegut jr. und Philip K. Dick, den bornierteren Mitgliedern im Genussclub der Kultur als Spinner, Groschenheftschmierer und Raketenjockel.

Schon der Titel des 1950 erschienenen Buches "Die Mars-Chroniken", im Original "The Martian Chronicles", genügte ihnen, sich an die Stirn zu tippen: Jaja, Gebalge auf fremden Planeten, Hirngespinste von Außerirdischen, abwegige Bastlerfantasien von Robotern und Strahlenkanonen.

Wir finden wieder nur uns selbst


Tatsächlich gab es SF-Autoren, die vor allem an Technik interessiert waren, an wundersamen Geräten der Zukunft. Und es gab auch solche, für die Science-Fiction nichts anderes war als ein bizarr aufgerüsteter Wildwestschmöker. Aber Ray Bradbury konnte mit solchen Konzepten so wenig anfangen wie nur je ein SF-Verächter.

In "Die Mars-Chroniken" fliegen zwar Raketen zum Roten Planeten, aber wie sie genau funktionieren könnten, das interessiert den Autor kein bisschen. Sie sind für ihn nur das Symbol seiner Gewissheit: irgendwann kommen wir raus aus dem, was wir als Lebenskulisse um uns herum erbaut haben. Und was, fragt er weiter, werden wir dann finden? Die Antwort, die er gibt, ist eine ziemlich unbehagliche: Wir finden wieder nur uns selbst.

"Die Mars-Chroniken" erzählt, wie zunächst zwei Raumfahrer auf dem Mars landen, wo es intelligentes Leben gibt, und wie sie - Bradbury verlegt das ins Jahr 1999 - die erste Begegnung nicht überleben. Wie auch die nächsten Expeditionen an Missverständnissen scheitern, wie immer wehrhaftere Trupps von der Erde nachforschen, wo ihre Vorgänger geblieben sind. Bald aber erledigt sich der Fall von selbst. Der nächste Schub irdischer Scouts findet nur noch Leichen. Die von ihren Vorgängern eingeschleppten Windpocken haben die Marsbewohner fast ganz ausgerottet.

Eine Roman aus Kurzgeschichten


Diese und noch ein paar andere Parallelen zur Geschichte vom europäischen Feldzug gegen Amerikas Indianer hat den "Mars-Chroniken" den Ruf eingebracht, sie seien eine verkappte Anklage der politischen Realität, eine Demaskierung der US-Gründung und Gegenwart. Das aber sind sie nur nebenbei. Sie sind ja nicht einmal ein geschlossener Roman. Denn Bradbury verbindet hier mit mal kurzen, mal langen Übergangsstücken einzeln erschienene Kurzgeschichten. Sie erzählen von Marsianern und irdischen Kolonisten, von Ehestreit, Heimweh, Pioniergrobheit und intellektuellem Katzenjammer: Die flugs aufgebaute Welt dort droben ist nämlich nichts anderes als der amerikanische Mittelwesten in dünnerer Luft.