Madrid - Im Sommer 2013 sollte eine neue Fußball-Ära beginnen. Nach jahrelangem Duopol von Barcelonas Lionel Messi und Real Madrids Cristiano Ronaldo hatten beide Vereine zur selben Zeit ihre Thronfolger verpflichtet. Madrid zahlte für Gareth Bale die damalige Rekordablöse von 101 Millionen Euro. Barcelona verstrickte sich für Neymar in ein Klauselgestrüpp jenseits der Legalität, das den damaligen Clubpräsidenten bald sein Amt kosten sollte. Aber kein Preis schien zu hoch, kein Opfer zu groß für die zwei Auserwählten. Bald würden sie die alternden Helden ablösen.
Gut sechs Jahre später räumen Ronaldo, 34, und Messi, 32, immer noch alle Preise ab, derweil Bale (30) und Neymar (27) nicht mal zu den 30 Kandidaten für die Vergabe des Goldenen Balls am kommenden Montag zählen. Real Madrid vollzog 2018 mit dem Verkauf von Ronaldo die lange anvisierte Stabsübergabe auf Bale – und hat sich davon seither nicht erholt. Zuletzt gab es immerhin mal einen Formanstieg, den man in der Champions League an diesem Dienstag (21 Uhr/DAZN) zum Weiterkommen und der letzten Chance auf den Gruppensieg nutzen will. Mit Gegner Paris St. Germain wiederum kommt auch der vor zwei Jahren für 222 Millionen Euro und noch mehr Getöse aus Barcelona geflüchtete Neymar: zum Duell der Ex-Kronprinzen.
Die Regeln machen sich die beiden selbst
Duell der Diven, könnte man es auch nennen. Oder der Eskapisten. Mit ihrem Talent sorgten sie immer wieder für punktuellen Glanz, aber verlässlich ihr Potenzial abgerufen haben sie nicht, und schon gar nicht haben sie sich von irgendwem einfangen lassen. Der Unterschied zu Messi und Ronaldo liegt in häufigen Verletzungen, aber vor allem in einem Lebenswandel, der fast schon subversiv die Gepflogenheiten des professionellen Mannschaftssports herausfordert. Die Regeln machen sie sich selbst, ihre Clubs treiben sie zu Verzweiflung und die Anhänger zu Pfiffen, gerade erst wieder am Wochenende, wüst in Madrid, etwas verhaltener in Paris.
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Eine Rage wie jene in Richtung Bales beim 3:1-Sieg gegen Real Sociedad hatte man selbst vom leicht entflammbaren Publikum im Santiago Bernabéu noch nicht gegen einen Real-Spieler erlebt. Bei Aufrufen seines Namens als Ersatzspieler, beim Warmlaufen, der Einwechslung und jedem Ballkontakt: gellende Pfiffe. Erst eine halbe Woche war es ja her, dass er in Cardiff nach vollbrachter EM-Qualifikation grinsend mit dem neuen Kultplakat seiner Nationalelf posierte: „Wales. Golf. Madrid. In dieser Reihenfolge“, stand darauf, den gleichlautenden Fangesang gibt es auch schon. Das Zitat kommt von Reals Clublegende Pedja Mijatovic, der so die Prioritäten eines Spielers abstufte, den sie teamintern den „Golfer“ nennen. Doch im stolzen Madrid fiel es schwer, die Episode mit Selbstironie zu nehmen – zumal es Bale zwischen Mitte Oktober und Mitte November fertigbrachte, wegen mysteriöser Wehwehchen kein einziges Training für seinen Club zu absolvieren. Bei Wales aber stets munter mitzuturnen.
Im Nationalteam fühlen sie sich am wohlsten
Der introvertierte Bale und der extrovertierte Neymar werden häufig als typische Söldner des globalisierten Fußballs porträtiert. Ironischerweise fühlen sie sich aber im traditionellsten Element des Kickergewerbes am wohlsten: bei den Nationalteams. Die Marotten bei ihren Vereinen wären so gesehen nur eine Art, mit dem Druck und dem Geschäft umzugehen; eine Maske des Irrsinns, um den Irrsinn von sich fern zu halten. Interessant war jedenfalls auch die Reaktion von Bale auf die Pfiffe am Samstag: er spielte grandiose 25 Minuten, weshalb er nun nicht nur als heißer Kandidat für die Startelf gegen Paris gilt, sondern viele Feinde auch schon wieder versöhnt hat. Und Neymar?
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Der flog, gerade genesen von einer sechswöchigen Verletzung, am Dienstagnacht zum Daviscup nach Madrid. Anderntags trainierte er mit einer Daunenjacke und verwandte beim Aufwärmen mehr Energie darauf, die Teamkollegen abzulenken als selbst mitzumachen. Die Woche rundete er ab, indem er nach seiner Auswechslung gegen Lille in der Kabine verschwand, wo der Kodex sonst den Platz auf der Reservebank vorsieht.
Darüber werde intern zu reden sein, erklärte sein Coach Thomas Tuchel, der ansonsten nur formulieren kann, was sein Real-Konterpart Zinédine Zidane im Hinblick auf Bale sicher unterstreichen würde. „Ich bin nicht sein Vater und nicht die Polizei, ich bin nur der Trainer.“