Die Berliner Gruppe „Angehört“ klärt Geflüchtete über ihre Rechte auf und bereitet sie auf ihre Erstanhörung vor. Ein syrischer Flüchtling unterstützt den Verein als ehrenamtlicher Übersetzer.

Berlin - Sie starten im Bombenhagel von Homs und Aleppo, setzen mit Schlauchbooten über das Mittelmeer, laufen von Grenze zu Grenze auf der Balkanroute – und sehen sich dann konfrontiert mit einem Bürokraten-Dschungel. Denn einmal angekommen in Deutschland, sind die Strapazen für Flüchtlinge noch lange nicht vorüber. Der Asylprozess ist schwer zu verstehen: Der konkrete Ablauf ist den Neuankömmlingen unklar, die Ansprechpartner sind ihnen unbekannt, die ohnehin komplizierten Bescheide erhalten sie auf Deutsch.

 

In der Erstanhörung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) werden die Asylbewerber sodann dazu aufgefordert, die Gründe ihrer Flucht anzugeben. Die Anhörung ist maßgeblich für den Verlauf des Asylverfahrens: Sie entscheidet darüber, ob ein Flüchtling in Deutschland bleiben darf oder nicht. Denn ist das Protokoll, das während der Anhörung angefertigt wird, unterzeichnet, kann es kaum mehr geändert werden – selbst, wenn Fehler darin stehen. So kann es sein, dass ein Schutzgesuch trotz klarer Fluchtgründe abgelehnt wird.

„Den meisten Geflüchteten ist nicht bewusst, wie wichtig diese Erstanhörung ist“, sagt Nadja Potthast. „Viele haben zudem Angst, während der Anhörung auf Fehler hinzuweisen.“ Die 28-jährige Sozialarbeiterin ist Mitglied und Mitgründerin von „Angehört“ – ein Berliner Verein, der Flüchtlinge über ihre Rechte aufklärt und sie auf die Erstanhörung vorbereitet.

Die meisten Flüchtlinge kennen ihre Rechte nicht

Der Verein entstand 2014 nach einem Workshop eines auf Asylrecht spezialisierten Berliner Rechtsanwalts. Der Kurs sollte ehrenamtliche Flüchtlingshelfer dazu befähigen, Flüchtlinge in Erstaufnahmelagern zu informieren. Zum Beispiel darüber, dass Frauen das Recht haben, eine weibliche Dolmetscherin für die Erstanhörung anzufordern. Eine nicht unwichtige Information – insbesondere für diejenigen, die während ihrer Flucht sexuelle Übergriffe erlitten haben. „Den Frauen ist es verständlicherweise häufig unangenehm, mit einem Mann über diese Erlebnisse zu reden“, sagt Potthast.

Im September 2014 besuchten die Mitglieder von „Angehört“ erstmals ein Erstaufnahmelager in Frankfurt (Oder). „Wir haben ein halbes Jahr gebraucht, um uns darauf vorzubereiten“, erinnert sich Potthast. „Wir mussten uns alle in die Materie einlesen.“ Learning by Doing: So läuft es bis heute bei „Angehört“. Wie man am besten mit den Flüchtlingen in Kontakt tritt, wie man die Informationen vermittelt – das haben sich die Mitglieder der Initiative selbst beigebracht. Inzwischen ist es Routine: Bei ihren wöchentlichen Besuchen in den Erstaufnahmelagern nehmen die Ehrenamtlichen mit den ersten Flüchtlingen Kontakt auf, denen sie begegnen. „Wir sagen ihnen: Wir treffen uns in zehn Minuten. Diese Nachricht macht per Mundpropaganda die Runde“, sagt Potthast. „Weniger als 20 Zuhörer haben wir nie.“ Während der 45-minütigen Präsentation über die Erstanhörung übersetzt Ali Hasan die englischen Informationen ins Arabische. Bei der anschließenden Fragerunde ist er Ansprechpartner für die Geflüchteten. „Jeder hat seine Geschichte. Aber die Fragen sind immer dieselben“, sagt Hasan. „Einer hat seinen Reisepass verloren. Ein anderer möchte wissen, ob er sein Studium fortführen kann. Wieder ein anderer, wann er seine Familie nachholen kann. Es geht immer darum: Wie und wo und wann? Vor allem um das Wann.“

Von Masyaf nach Berlin

Die Fragen kennt der 25-Jährige gut: Er kam selbst als Flüchtling aus Syrien. Wie so viele syrischen Männer, die nun in Europa leben, wollte auch Hasan, der inzwischen einen Aufenthaltstitel hat, nicht für eine der vielen Seiten des Bürgerkriegs kämpfen. Bomben werfen. Töten. So ließ er die Familie, das alte Leben in seiner Heimatstadt Masyaf, 60 Kilometer nordwestlich von Homs, hinter sich. Am 25. Mai 2015 erreichte er das Erstaufnahmelager Eisenhüttenstadt in Ostbrandenburg. Wenig später wurde er verlegt nach Frankfurt (Oder). Dort traf er auf „Angehört“, bot seine Dienste an als Übersetzer. Seither ist er fast jedes Mal dabei, wenn den Neuankömmlingen in Frankfurt, Berlin-Charlottenburg oder -Pankow eröffnet wird, was ihnen bevorsteht. Und das, obwohl er – wie alle Mitglieder von „Angehört“ – kein Gehalt bekommt für seine Tätigkeit als Übersetzer. Doch das ist auch nicht der Grund für sein Engagement: „Ein Lächeln zu sehen, wenn man jemandem weiterhelfen konnte – das ist unbezahlbar.“