Die Verbraucherorganisation musste in 50 Jahren kein einziges mal Schadenersatz zahlen. Deswegen sind die Verantwortlichen auch im aktuellen Schokoladenstreit siegessicher.

Stuttgart - Das Urteil aus München hatte kaum die Runde gemacht, da folgte auch schon die Kampfansage aus Berlin: „Die Stiftung Warentest nimmt diese Entscheidung nicht hin und wird deshalb Berufung gegen das Urteil einlegen.“ Per einstweiliger Verfügung hat das Landgericht der Organisation untersagt, weiter zu behaupten, dass die Nussschokolade von Ritter Sport ein fälschlicherweise als „natürlich“ deklariertes Vanillearoma enthält. Bei Zuwiderhandlung drohen 250 000 Euro Strafe. Eine Sprecherin der Verbraucherorganisation begründete den nächsten Schritt von Warentest im Gespräch mit der Stuttgarter Zeitung: „Wir sind immer noch der Meinung, dass das, was wir nicht mehr behaupten dürfen, richtig ist.“ Die Entscheidung markiere eine Etappe, aber keine Niederlage.

 

Der Optimismus dürfte sich vor allem aus der juristischen Vorgeschichte speisen. Durchschnittlich ziehen nach Angaben von Stiftung Warentest nur vier bis fünf Firmen pro Jahr vor Gericht – bei 2000 getesteten Produkten. Noch nie ist die Organisation in ihrer knapp 50-jährigen Historie zu einer Schadenersatzzahlung verurteilt worden. Auch im aktuellen Schokoladenstreit mit Ritter Sport liegt eine derartige Sanktion noch in weiter Ferne. Zwar schließt der Waldenbucher Schokoladenproduzent nicht aus, dass er irgendwann einen solchen Anspruch gegenüber der Stiftung Warentest geltend machen wird. Immerhin habe der Familienbetrieb durch das umstrittene Testurteil neben einem Imageschaden auch wirtschaftliche Einbußen zu verzeichnen, die gegenwärtig nur noch nicht bezifferbar seien, wie eine Sprecherin betont. Allerdings müsste Ritter vor einer möglichen Regressforderung zunächst als Sieger aus einem Hauptverfahren hervorgehen, das noch nicht einmal eröffnet ist.

Letzte Niederlage in einem Hauptverfahren liegt 20 Jahre zurück

In der Pressestelle der Stiftung Warentest kann sich zunächst niemand mehr genau erinnern, wann man zuletzt in einem Hauptverfahren unterlegen ist. Mitte der 90er Jahre habe es einen solchen Fall gegeben, erklärt schließlich eine Sprecherin, allerdings sei es dabei nicht um Lebensmittel gegangen, sondern um ein Finanzprodukt. Die letzte einstweilige Verfügung, die 2008 von der Andechser Molkerei im Streit über Sauerrahmbutter gegen das Institut erwirkt wurde, kassierte das OLG Karlsruhe in der nächsten Instanz. Die Verbraucherorganisation hat also allen Grund, dem weiteren Verlauf des Zwists über die Nussschokolade gelassen entgegenzublicken.

Hintergrund der aktuellen Auseinandersetzung ist eine winzige Zutat in der Ritter-Sport-Schokolade: das Vanillearoma Piperonal. Warentest bemängelte in einem Testurteil vom November 2013, dass der Stoff zu Unrecht als „natürliches Aroma“ auf den Verpackungen der quadratischen Tafeln bezeichnet wird. Tatsächlich handele es sich aber um eine synthetisch erzeugte Zutat, so der Vorwurf.

Ritter hat 2008 komplett auf natürliche Rohstoffe umgestellt

Für Ritter Sport ist der Fall aus zwei Gründen heikel. Zum einen hat der mittelständische Betrieb 2008 einen Weg eingeschlagen, der es ermöglichen sollte, sich langfristig von der mächtigen Konkurrenz im Schokoladenmarkt abzuheben: die Umstellung auf natürliche Rohstoffe und der Verzicht auf künstliche Aromen in allen Rezepturen. Ritter wirbt seither mit diesem Image und hat damit die Marke gestärkt, die ohnehin zu den beliebtesten in Deutschland zählt. Dieser gute Ruf ist nun gefährdet, schließlich wird der umstrittene Aromastoff Piperonal in allen Sorten eingesetzt, wie es auf der Ritter-Homepage heißt. Selbst wenn man sich dieses Mal gütlich geeinigt hätte – ein Versuch ist zuletzt kurz vor Weihnachten gescheitert –, könnte die Frage schon beim nächsten Test von Joghurt- oder Trauben-Nuss-Schokolade wieder auf der Tagesordnung stehen.

Zusätzliche Brisanz erfährt das Verfahren durch einen dritten Beteiligen, den niedersächsischen Aromahersteller Symrise. Die Aktiengesellschaft aus Holzminden, mit einem Jahresumsatz von 1,7 Milliarden Euro der größte deutsche Aromaproduzent und einer der vier größten weltweit, hat zwischenzeitlich erklärt, dass man das Piperonal gar nicht selbst herstelle, sondern über Dritte beziehe. Weiter äußert sich das Unternehmen nicht. „Für uns ist es nachvollziehbar, dass Symrise nicht alles offenlegt“, sagt eine Ritter-Sprecherin, schließlich könnte der Hersteller dadurch einen Wettbewerbsvorteil verlieren. Ob die Verantwortlichen in der Waldenbucher Firmenzentrale von Ritter genau über die Details zur Herkunft und zum Herstellungsverfahren des Piperonals informiert sind, wollte die Sprecherin allerdings nicht sagen. Dazu gebe es eine Garantieerklärung.