In weiteren Plädoyers fordern Verteidiger im Verfahren um die mutmaßliche Rechtsterrorgruppe S. Freisprüche. Sie stellen vor allem die Frage in den Raum, ob das Landeskriminalamt über seinen Spitzel die Angeklagten zu Straftaten verleiten wollte.

Im Prozess gegen die mutmaßliche Rechtsterrorgruppe S. vor dem Oberlandesgericht Stuttgart forderten die Anwälte weiterer drei Angeklagter, ihre Mandanten freizusprechen. Der Generalbundesanwalt wirft den elf Männern zwischen 34 und 64 Jahren vor, sie hätten 2019/2020 geplant, Anschläge auf Moscheen zu verüben. Dadurch hätten sie einen Bürgerkrieg in Deutschland auslösen und das politische System stürzen wollen. Dazu soll sich die Gruppe am 8. Februar 2020 bei einem Treffen im westfälischen Minden unter den Augen der Polizei gegründet haben.

 

Der Angeklagte Stefan K.

Ihm wirft der GBA vor, die Gruppe unterstützt zu haben. Für ihn forderte er eine Haftstrafe in Höhe von zwei Jahren und elf Monaten. Zu der Gruppe hatte K. erstmals am 8. Februar 2020 bei deren mutmaßlicher Gründung in Minden in Ostwestfalen überhaupt Kontakt. Bis dahin war ihm nur der Mitangeklagte Steffen B. persönlich bekannt. K. wurde im vergangenen Sommer aus der seit dem 14. Februar 2020 andauernden Untersuchungshaft entlassen.

Wie argumentieren K.s Anwälte?

Der Karlsruher Ashraf Abouzeid prangerte die „fragwürdigen Methoden des Landeskriminalamtes (LKA)“ an, mit dem dieses „zu dem Ergebnis gelangt sein will, dass in Minden eine terroristische Vereinigung gegründet worden sein soll“. Es gebe zudem keinen Beweis dafür, dass sein Mandant „damit konkret etwas zu tun“ gehabt haben soll. K. war, wie die Ermittlungen belegen, nur auf Drängen seines Freundes Steffen B. überhaupt mit nach Minden gefahren. Die Angeklagten seien „alle rechts. Ja, die meisten rechtsextrem. Ich gehe sogar weiter: Da sitzen nicht die oft zitierten Taugenichtse, da mögen auch einige richtige Arschlöcher sitzen. Aber die Frage ist doch: Sind sie deswegen gefährlich?“

Abouzeid wünschte sich, dass dies eine Schale einer Waage sei. In die andere wollte er Urteile geworfen wissen, die auch konkret der verhandelnde 5. Strafsenat des Stuttgarter OLG in ungezählten islamistischen Terrorverfahren wie gegen Mitglieder des „Islamischen Staates“ fällte. Die Richterinnen und Richter um den Vorsitzenden Herbert Anderer hatten 2020 einen IS-Terroristen zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt, der 2017 einen Anschlag auf den Karlsruher Weihnachtsmarkt verüben wollte. Dazu im Vergleich die „Mindener Tafelrunde“, die sechs Tag lang existierte, „auf Schritt und Tritt von der Polizei verfolgt“. Die Waage würde unter der Last des IS-Urteils zusammenbrechen. Abouzeid und sein Karlsruher Kollege Jürgen Just glauben jedoch nicht, dass der Senat seine in früheren Haftentscheidungen zu K. geäußerten Argumente für eine Haft überdenken werde.

Der Angeklagte Markus K.

Markus K. wirft der GBA vor, die mutmaßliche Terrorgruppe unterstützt zu haben. Dafür soll er für drei Jahre in Haft. K. wurde am 14. Februar 2020 in Untersuchungshaft genommen und im Sommer 2020 freigelassen.

Was sagen seine Anwältinnen?

Die Mannheimerin Miriam Haas erinnerte an 167 Verhandlungstage Beweisaufnahme. Man habe lügende Polizeibeamte und volltrunken geführte Telefonate gehört, hunderte Bilder angeschaut, Zeugen über Zeugen gehört. Das alles habe ergeben: An Markus K. habe so wenig Interesse bestanden, dass bei dem Treffen in Minden „zahlreiche der Anwesenden sich nicht mal mehr an ihn erinnerten“. Dort aber habe vor allem Informant U. über Anschläge reden wollen, „der Straftäter, der sein halbes Leben in Haft und im Maßregelvollzug verbrachte“. Daraus entlassen habe er die Rolle des „Anstifters, des Undercover-Agenten, des Polizeispitzels, der Verräters“ gesucht und gewählt: „Er musste gegenüber der Polizei selbst dafür sorgen, dass es etwas Spannendes und Dramatisches zu berichten gab.“ Weil ihm das seine Mitangeklagten in Minden nicht boten, habe er eben „selbst liefern, anfeuern, anstiften“ müssen. Markus K. hingegen habe nach dem Treffen „gar keine Rolle“ mehr gespielt, er „war nicht existent“. Bei ihm seien keine Waffen, keine Pläne, nichts gefunden worden - „nur ein paar Bierflaschen mit Urin“.

Wie argumentiert die zweite Anwältin?

Die Pfinztalerin Sylvia Schwaben setzte sich fast anderthalb Stunden lang penibel mit den gegen K. vorgebrachten Indizien auseinander – und widerlegte die meisten der Vorwürfe, die der Generalbundesanwalt gegen ihren Mandanten vorgebracht hatte. In Minden seien nicht „die Auserwählten zusammengekommen“, sondern Teilnehmer zufällig entstandener, sich ständig verändernder Chatgruppen. Das habe mal gewabert, sich mal verlaufen, „Neue kommen neugierig hinzu, andere verabschieden sich. Die Zusammensetzung der Leute war ähnlich flüchtig wie die der Fahrgäste in einer S-Bahn“. Man habe in Minden „bei Mettbrötchen und Kaffee dumm geschwätzt“. Allerdings wäre eine solche Erkenntnis im Ergebnis nicht so gut gekommen: Deshalb hätten Terroranschläge und Waffen her gemusst, an denen vor allem einer ein großes Interesse gehabt hätte: Paul-Ludwig U., der Polizeispitzel. „Sonst hätten er und das LKA ziemlich im Regen dagestanden.“ U. hatte in zahlreichen Telefonaten Bekannten davon berichtet, er werde vom Landeskriminalamt in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen. Die Die Polizei hatte diese Telefonate selbst mitgeschnitten.

Der Senat, so Schwaben, habe die Frage zu beantworten, ob U. im staatlichen Auftrag versucht habe, seine Mitangeklagten zu Straftaten zu provozieren. Dafür spreche vieles. Die Angeklagten seien durch einen „Mittäter in die Tat verstrickt worden, der seinerseits unmittelbar durch die Polizei zur Begehung von Straftaten angestiftet“ wurde. Schwaben forderte, K. freizusprechen, den Haftbefehl gegen ihn aufzuheben, ihn für die Untersuchungshaft zu entschädigen und die Kosten des seit April 2021 dauernden Verfahrens der Staatskasse aufzuerlegen.

Der Angeklagte Thomas N.

Der GBA ist überzeugt, dass Thomas N. die Gruppe mitgegründete. Für ihn forderte er eine Haftstrafe von fünf Jahren und vier Monaten. N. befindet sich seit Februar 2020 in Untersuchungshaft.

Warum fordert sein Anwalt seinen Freispruch?

Der Göppinger Jurist Harald Stehr konzentrierte sich auf eine der zahlreichen Ungereimtheiten in den Ermittlungen. Alle im Gerichtssaal hätten das Telefongespräch zwischen Spitzel U. und einer Hauptkommissarin des LKA gehört. „Wir waren Zeuge, als U. hilflos klingend endlich eine Antwort auf seine Frage nach seinem in diesem Verfahren geführten Status verlangte: ‚Wer bin ich denn nun eigentlich für Euch?‘ lautete sinngemäß seine Frage. Wir waren dabei. Wir hörten: Dass die Beantwortung dieser Frage von“ den beiden U. führenden Kriminalen „auf den nächsten polizeilichen Vernehmungstermin verlegt wurde“. Weil man dies nicht am Telefon habe besprechen wollen.

„Dass genau diese polizeiliche Vernehmung dann als die einzige bekannt wurde, bei der nur“ die beiden Polizisten „anwesend waren und zum ersten wie zum letzten Mal keine externe Schreibkraft, es keine Tonbandaufnahme, keine Videoaufzeichnung gab, bleibt eine offene, aber zu beantwortende Frage. Ein Schelm der Böses dabei denkt.“ In der Beweisaufnahme seit April 2021 entstand nachhaltig der Eindruck, dass die beiden Ermittler U. für seine Informationen Straffreiheit und Zeugenschutz samt neuer Identität in Aussicht stellten. Zusammen mit seinem Karlsruher Kollegen Daniel Sprafke forderte Stehr, seinen Mandanten N. freizusprechen.