Im Verfahren gegen die mutmaßliche Rechtsterrorgruppe S. sind die Verteidiger eines der angeklagten Rädelsführer mit einer Haftstrafe für ihren Mandanten bis zum Jahresende einverstanden. Dem Geständnis des Mannes kommt zentrale Bedeutung zu.

Im Verfahren um die mutmaßliche Rechtsterrorgruppe S. haben weitere Verteidiger Plädoyers gehalten. Zuvor aber der der Vorsitzende des 5. Strafsenats, Herbert Anderer, die bereits beendete Beweisaufnahme nochmals geöffnet und ein Zeuge gehört. Die Atmosphäre zwischen den Richtern, Bundesanwälten und Verteidigern ist seit Monaten in dem seit zweieinhalb Jahren andauerndem Prozess vergiftet. Es kommt – auch während der Schlussvorträge - zu heftigen persönlichen Angriffen der Verteidiger auf den Vorsitzenden Richter.

 

Warum wurde noch ein Zeuge gehört?

Dem Generalbundesanwalt (GBA) hatte die Anwältin des Hauptangeklagten Werner S., Anika Klein, in ihrem Plädoyer vorgeworfen, eines von S. Profilen bei Facebook nicht gesichert, so einen entlastenden Beitrag nicht wahrgenommen und letztendlich unterdrückt zu haben. Dazu wurde der von ihr beantragte Zeuge, ein früherer Polizist, befragt. Dieser sagt aus, dass das Konto in der Tat nicht gesichert worden sei. Der Beitrag jedoch von einem Mitangeklagten fotografiert, der Polizei übergeben und so in die Ermittlungsakten gelangt sei.

Der Angeklagte Toni E.

Ihm wirft der GBA vor, einer der Rädelsführer der mutmaßlichen Terrorgruppe gewesen zu sein. Für ihn fordern die Ankläger eine Haftstrafe von sechs Jahren und acht Monaten.

E.s Verteidiger Heiko Hofstätter beanstandete, dass die Prozessbeteiligten erst spät erfuhren, dass etwa 70 Verfahren mit mehr als 245 Aktenordner gegen die Angeklagten nach dem Polizeirecht geführt wurden, die nicht Bestandteil des Verfahrens sind. Den Richtern warf er vor, dieses Material nicht herangezogen zu haben. Der Spitzel des Landeskriminalamtes (LKA), Paul Ludwig U., habe beim mutmaßlichen Gründungstreffen der von den Ermittlern so benannten Gruppe S. im westfälischen Minden „sein Drehbuch“ umgesetzt, mit dem er bereits zuvor andere Menschen beschuldigt habe, Terrorgruppen gebildet zu haben. U. habe dort die Idee aufgebracht „Moscheen zu machen“. Ein Plan, der bei den meisten der Angeklagten „nicht auf Gegenliebe gestoßen ist“. Es sei keine Gruppe gegründet, keine Hierarchie vereinbart, keine Anschläge geplant worden, die Angeklagten hätten sich nicht bewaffnet.

Der vom LKA so benannte „Kronbeschuldigte“ U. sei „nach allen Regeln der Kunst benutzt“ worden. Er habe im Auftrag und mit Wissen der Ermittler agiert. Der GBA hatte für U. drei Jahre Haft gefordert, weil er die Gruppe unterstützt haben soll. Sollte dem Gericht dieser Forderung nachkommen, kündigte Hofstätter an, Strafanzeige wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung gegen die U. betreuenden beiden Kriminalbeamten zu stellen.

Was sagt E. zweiter Verteidiger?

Anwalt Jörg Becker wirft den Richtern, insbesondere dem Vorsitzenden vor, zwar juristisch die Form gewahrt, jedoch mit zweierlei Maß gemessen zu haben: „Zeugen, die aus dem Umfeld von Angeklagten stammen“ seien „unter Verweis auf ihre Wahrheitspflicht bei der Befragung massiv unter Druck gesetzt“ worden, „wenn sie sich nicht erinnern können“. „Ermittlungsbeamten des LKAs“ habe der Vorsitzende jedoch „das Mantra ‚ich kann mich nicht erinnern‘ wieder und wieder unbeanstandet durchgehen“ lassen.

Zudem sei „im Verfahren unvermittelt ein Berater der Sonderkommission“ aufgetaucht. Ein pensionierter Kriminaler „mit viel Erfahrung, einer der einen externen Blick auf die Dinge hatte und viele Interna der Ermittlungen kennt, der Schlussberichte verändert und eigene Berichte über seine Arbeit verfasst hat. Dann wäre an sich in jedem Verfahren klar, dass man diesen wichtigen Zeugen als Erkenntnisquelle nutzt – nutzen muss.“ Beispielsweise um die Frage zu klären, ob der Spitzel U. „doch im Auftrag des LKA unterwegs“ gewesen sei. Diesen Zeugen habe das Gericht mit dem „längsten Beweisantragsablehnungsbeschluss aller Zeiten“ abgelehnt.

Auch hatten die Anwälte „aufgrund eines Antrags der Verteidigung am 13. Juli 2023“ Einsicht in weitere, den Ermittlungsbehörden vorliegende Daten verlangt. Der Senat habe „mit drei Mitgliedern am 19. Juli einen Ausflug ins LKA“ gemacht und erfahren, dass dort „noch 15 Terabyte Daten liegen“. Der Behörde sei keine Frist gesetzt worden, diese Daten dem Gericht vorzulegen. „Stattdessen teilt man der Verteidigung am 19. September, zwei Monate nach der Krisensitzung im LKA mit, sie möge nun zwei ganz spezielle Festplatten beschaffen und diese an das LKA senden“. Dies sei geschehen. Dann aber sei die Beweisaufnahme geschlossen und verkündet worden, „es sei leider zur spät, die Verteidigung habe eben nicht rechtzeitig die Einsicht beantragt“. Die Festplatten wurde offenbar am Dienstag, 24. Oktober, an die Verteidiger verteilt. Becker schloss seinen Vortrag: „Das ist keine gute Erinnerung und kein würdiges Ende für einen großen Staatsschutzprozess. Wir fühlen uns, um es in aller Deutlichkeit zu sagen, wir fühlen uns beschmutzt.“ Er forderte E. freizusprechen und den Haftbefehl gegen ihn aufzuheben.

Der Angeklagte Steffen B.

Der GBA wirft ihm vor, die Gruppe S. bei einem Treffen in Minden am 8. Februar 2020 mit gegründet zu haben. Er fordert eine Haftstrafe in Höhe von vier Jahren und sechs Monaten.

B. kommt deshalb eine zentrale Rolle in dem Verfahren zu, weil die Richterinnen und Richter des Senats bereits deutlich machten, den Aussagen des Spitzels U. nur dort Glauben zu schenken, wo sie durch andere Aussagen oder Erkenntnisse gestützt würden. Dabei stützen sich die Richter auch die Aussage B.s, die dieser nach seiner Verhaftung im Februar 2020 drei Monate später in Untersuchungshaft machte. In einer Phase, wie die Ermittler vermerkten, in der B. zu Beginn seiner Vernehmung angab, „emotional am Ende zu sein“.

B. belastete vor allem den LKA-Spitzel U.. Der habe sich bei dem Treffen in Minden „ins Wort geworfen, dass man Anschläge machen müsste an irgendwelchen großen Moscheen. In Köln war es, glaube ich“. Werner S. sei von U. immer wieder unterbrochen worden und habe „dann nicht mehr weitergesprochen“. Aus der Gruppe sei Widerspruch gekommen, dass in der Moschee auch Frauen und Kinder getötet würden. „Der U. hat dann halt gesagt, das ist ihm scheißegal, er ist eh’ alleine, er hat keine Familie. Kleine Kinder werden auch irgendwann große Kanaken.“ Daraufhin habe S. gesagt, auch „ihm ist seine Familie scheißegal, die soll zur Hölle fahren“. U. sei mit seinen Redebeiträgen „noch mehr als S.“ offensiv aufgetreten; „ansonsten war es eigentlich zurückhaltend“.

Was fordern B.s Anwälte?

Michael Ried und Michael Flintrop glauben, ihr Mandant habe durch das Geständnis wesentlich zur Aufklärung beigetragen und deshalb nach drei Jahren und zehn Monaten im Dezember aus der Haft entlassen wird.