Am Dienstagabend fand der jährliche Reformationsempfang im Stuttgarter Hospitalhof statt. Dabei wurde auf die vielfältigen Auswirkungen der Reformation erinnert.

Stuttgart - Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Kultur sind am Dienstagabend in den Hospitalhof gekommen, um gemeinsam in die Reformationswoche zu starten. Sie waren der Einladung des evangelischen Dekanatsamts gefolgt, das in diesem Jahr erstmals auch die Öffentlichkeit zur Veranstaltung begrüßte. Der Reformationsempfang ist der jährliche Auftakt zu zahlreichen Veranstaltungen rund um den Reformationstag, der sich dieses Jahr zum 500. Mal jährt. „Nutzen wir die Gelegenheit zum Feiern, es ist dieses Jahr ein ganz besonderer Empfang und den 600. Jahrestag werden wir wohl kaum erleben“, sagte der evangelische Stadtdekan Søren Schwesig zur Begrüßung des Publikums.

 

Noch Aufholbedarf im ökumenischen Miteinander

Gäste verschiedener Glaubensrichtungen waren beim Reformationsempfang dabei: evangelische und katholische Christen, Juden und orthodoxe Christen. Für die Veranstalter ist das jedoch kein Widerspruch, ganz im Gegenteil: „Jesus sagte, seine Jünger sollten eins sein, deshalb sollten wir uns stets an das erinnern, was uns einigt. Und das ist mehr als das was uns trennt“, sagte der katholische Stadtdekan und Referent des Abends Christian Hermes. Trotz des trauten Miteinanders am Abend sieht er im ökumenischen Miteinander aber auch noch Aufholbedarf. „Wir dürfen in unserer evangelisch-katholisch geprägten Gesellschaft nicht vergessen, dass auch die christlichen Kirchen in Osteuropa zu unserer Glaubensgemeinschaft gehören. Hier müssen wir noch mehr den Dialog suchen. Luther machte das mit seinem Thesenanschlag vor, er forderte das Gespräch“, sagte Christian Hermes.

Luther nicht zu sehr verherrlichen

Auch wenn Martin Luther in solchen Bereichen als Vorbild gelten kann, warnte Stadtdekan Søren Schwesig mit Blick auf den Reformationstag davor, Luther bei den Feierlichkeiten zu sehr zu verherrlichen: „Wir sollten Luther als Person nicht überhöhen und dabei seine antijudaistischen Gedanken vergessen. Sein Reformationsgedanke ist das, was heute wichtig ist.“ Zu diesem Gedanken gehöre allerdings weitaus mehr, als die bloße Reformation der Kirche. Vielmehr hatte der Thesenanschlag Luthers am 31. Oktober auch Auswirkungen auf Politik, Kultur und das Bildungswesen, erläuterte Schwesig weiter. „Die Reformation hatte weitreichende Auswirkungen auf viele Lebensbereiche. Die einheitliche Schriftsprache schuf Zugang zu Bildung, Informationen, Kultur, Politik und zur Wissenskultur. Im Zeitalter der Fake-News, ist das ein wichtiger Faktor“, betonte der evangelische Stadtdekan.

Aufforderung, sich in der Öffentlichkeit einzumischen

Dieser Zugang zum öffentlichen Leben ist ein Faktor, den Hermes im halbstündigen Referat zu dem Thema „Der Öffentlichkeitsauftrag der christlichen Kirchen – seine Chancen und Grenzen“ am Abend weiter führte. Dabei ging es ihm unter anderem um das Wirken der christlichen Bürger im öffentlichen Geschehen. Um den von Luther angestoßenen Diskurs weiterzuführen, forderte Hermes die Christen außerdem auf, sich in der Öffentlichkeit einzumischen. „Die Kirche als Institution hat in der Politik nichts verloren, aber die Christen schon. Denn die Politik ist eine öffentliche Sache.“ Christen aller Konfessionen hätten deshalb die Pflicht, sich zu engagieren – immer mit dem Grundgesetz im Blick. Dabei verwies er auch auf die jüngsten politischen Entwicklungen und Parteiaussagen, die seiner Ansicht nach teilweise nicht mit dem Grundgesetz in Einklang zu bringen sind.

Hermes: „Kirche muss nicht politisch neutral sein.“

„Der Staat muss kirchlich neutral sein. Aber die Kirche muss nicht politisch neutral sein. Denn wenn sich die Christen aus der Politik gänzlich zurückziehen, müssen sie sich nicht wundern, wenn Menschen mit einer anderen Weltanschauung die Entscheidungen fällen“, so Hermes.