Die Migrationsfrage stürzt Frankreich in eine Regierungskrise: Ohne Mehrheit im Parlament, erleidet Präsident Emmanuel Macron mit seinem Ausländergesetz seine bisher schlimmste Schlappe.

Korrespondenten: Stefan Brändle (brä)

Die Nationalversammlung hat am Montag den Entwurf von Innenminister Gérald Darmanin für ein Immigrationsgesetz überraschend mit 270 zu 265 Stimmen zurückgewiesen – noch bevor eine Debatte darüber begonnen hatte. Der Pariser Politologe Alain Duhamel sprach von einer politischen „Ohrfeige“: Dass der allmächtige französische Präsident vom notorisch schwachen Parlament auf diese Weise abgestraft wird, sei ein Novum. Es machte die geschwächte Stellung Macrons, der sich früher gerne mit Jupiter vergleichen hat, offenbar.

 

Ohrfeigen von links und rechts

Anders als in seiner ersten Amtszeit regiert seine Partei Renaissance seit 2022 ohne Mehrheit in der Nationalversammlung. Die unpopuläre Erhöhung des Pensionsalters von 62 auf 64 Jahre hatte Macron noch mit einem Verfassungskniff durchgeboxt. Beim Einwanderungsgesetz haben sich nun aber sämtliche Oppositionsparteien gegen ihn verbündet, obwohl sie politisch Lichtjahre trennen. Dass sie dennoch gemeinsame Sache machten, verdeutlicht die Wucht ihrer Ablehnung des Präsidenten.

In der Sache waren die Rechts- und Linkspopulisten aus entgegengesetzten Gründen gegen das neue Einwanderungsrecht. Marine Le Pen warf Darmanin vor, er verschärfe die Ausweisung illegal Eingereister nur zum Schein; zugleich hole er neue Migranten ins Land, um den Fachkräftemangel in gewissen Berufen wie dem Bausektor oder dem Tourismus auszugleichen. Jean-Luc Mélenchon von den linken „Unbeugsamen“ unterstellte dem Gesetz dagegen eine „Atmosphäre des Rassismus“. Mit Fachkräften seien vor allem europäische Zuwanderer gemeint, und mit der Beschleunigung des Asylverfahrens handle Frankreich gegen die Prinzipien einer Menschenrechtsnation.

Dass der Aufstand des Parlamentes gegen den Staatschef ausgerechnet bei der Migrationsfrage losbrach, ist kein Zufall. Die Stimmung im Land ist aufgeheizt nach mehreren Messerattacken – mutmaßlich verübt von Männern mit migrantischem Hintergrund. Im November wurde in Crépol der junge Besucher eines Dorffestes erstochen, dann in Paris ein deutscher Tourist. Im Oktober hatte ein 20-jähriger Zuwanderersohn kaukasischer Herkunft in Arras einen Lehrer gemeuchelt. Darmanin behauptete, nach dem neuen Immigrationsrecht wäre der radikalisierte Täter schon früher ausgewiesen worden. Le Pen stellte dies in Abrede. Sie warf humanitären Vereinen vor, die Ausweisung der islamistischen Familie des Täters 2014 verhindert zu haben.

Macron will Neuwahlen unbedingt verhindern

Darüber hinaus scheitert der Staatschef mit seinem allgemeinen Kurs der politischen Mitte. Gemäß seinem Motto „en même temps“ (gleichzeitig) versuchte Macron, es beiden politischen Lagern recht zu machen. Mit dem Immigrationsgesetz schaffte es der unpopuläre, in Oppositionskreisen geradezu verhasste Präsident, gleich beide Lager gegen sich aufzubringen. Doch offiziell hat Darmanin das verpatzte Gesetz zu verantworten. Der rührige Innen- und Polizeiminister, der dem früheren Präsidenten Nicolas Sarkozy nacheifert und präsidiale Ambitionen für 2027 hegt, bot Macron der Form halber seinen Rücktritt an. Der Staatschef lehnte das ab, um die Regierungskrise nicht noch weiter zu vertiefen. Dafür droht er nun selber in die Schusslinie zu geraten.

Macron beschloss am Dienstag die Einsetzung einer paritätisch zusammengesetzten Parlamentskommission, die eigene Vorschläge für ein neues Migrationsrecht machen soll. Die Rechtsparteien dürften darin die Mehrheit stellen. Mit dieser Minimallösung wird er sich aber kaum aus der Affäre ziehen können. Le Pen verlangt Darmanins Rücktritt und vor allem Neuwahlen. Macron kann dem keinesfalls zustimmen. Denn bei einem Wahlsieg seiner Erzfeindin Le Pen müsste er mit den Rechtsextremisten eine Regierung nach dem Prinzip der „Cohabitation“ eingehen. Eine solche Kollaboration kommt für ihn nicht in Frage.

Der Präsident könnte noch, wie dies öfters geschieht, seine Premierministerin Elisabeth Borne opfern. Dies würde ihm keine Parlamentsmehrheit verschaffen. Zunehmend isoliert, hat der Präsident mit der Einwanderungsvorlage nun noch die letzten Linken in seinem Lager brüskiert. Sein langjähriger Weggefährte Daniel Cohn-Bendit kündigte ihm diese Woche offiziell die Freundschaft auf. Auf der konservativen Seite sind die Republikaner auf Macron nicht besser zu sprechen. So muss er sich darauf einstellen, die verbleibenden dreieinhalb Jahre im Élysée-Palast Däumchen drehend zu verbringen. Für einen hyperaktiven Präsidenten eine grässliche Vorstellung.