Regimekritiker im Staats-TV Die erzwungenen Worte des Roman Protassewitsch

Dem inhaftierten Regimekritiker Roman Protassewitsch wird in Belarus „Terrorismus“ vorgeworfen. Foto: dpa

Die Umstände sprechen Bände: Der inhaftierte belarussische Regimekritiker muss sich selbst der Anstiftung von Massenunruhen bezichtigen.

Minsk - Zwei Stühle, zwei Menschen, eine Kamera. Man kennt solche Szenen von Talkshow-Formaten. Hier jedoch, im staatlichen belarussischen Sender ONT, kann von einem TV-Duell keine Rede sein. Das zeigt schon der Einstieg: „Haben Sie sich freiwillig zu diesem Interview bereit erklärt?“, fragt Moderator Marat Markow. „Absolut.“ Roman Protassewitsch zögert keine Sekunde. Aber er schließt bei der Antwort die Augen und schüttelt den Kopf. „Und wie fühlen Sie sich?“, will Markow wissen. „Ausgezeichnet.“ Wieder schließt Protassewitsch die Augen. Man werde ihn in der belarussischen Opposition nach diesem Auftritt vermutlich als Verräter verdammen, fährt der 26-Jährige fort. Aber er wolle endlich die Wahrheit bekennen.

 

Man muss kein Psychologe sein, um die erzwungene Inszenierung dieses anderthalbstündigen „Interviews“ schon in den ersten 120 Sekunden zu durchschauen. Man braucht nur hinzuhören, hinzusehen und ein wenig Hintergrundwissen. Vor allem muss man das Bekannte in Rechnung stellen: Dass belarussische Sicherheitskräfte den Regimegegner Protassewitsch vor zwei Wochen aus einem Linienflugzeug entführt haben, nachdem die Luftwaffe den Ryanair-Jet zur Landung in Minsk gezwungen hatte. Man muss zudem wissen, dass in den Haftanstalten der früheren Sowjetrepublik gefoltert wird und „Terroristen“ die Todesstrafe droht. Der Gekidnappte sitzt unter dem Vorwurf des Terrorismus in einem der Foltergefängnisse. Er kann nicht frei entscheiden, was er vor einer Kamera sagt.

Selbst für den Machthaber Lukaschenko muss Protasewitsch Verständnis äußern

Zum Beispiel erklärt er, dass es im vergangenen Sommer in Belarus einen „Aufstand“ der Opposition gegen Alexander Lukaschenko gegeben habe, der das Land seit bald 27 Jahren regiert. Die EU und die USA erkennen den Dauermachthaber seit der gefälschten Wahl im August 2020 nicht mehr als Präsidenten an. Protassewitsch dagegen bekennt sich vor der Kamera dazu, einer der Drahtzieher der „Massenunruhen“ gewesen zu sein. Geld sei geflossen. Dollar. Euro. An anderer Stelle lobt er Lukaschenko: „Ich verstehe jetzt, dass viele Dinge, für die er kritisiert wird, nur Versuche sind, ihn unter Druck zu setzen.“ Fragesteller Markow nickt.

Der Interviewer hat eine einschlägige Vergangenheit im Staatsapparat

Markow leitet nicht nur den Staatssender ONT, den Kritiker als reines Propagandaorgan des Regimes bezeichnen. Der bullige Mann mit den schwarzen Augen und dem haarlosen Telly-Savalas-Kopf war vor seiner TV-Karriere Vizechef der Ideologischen Abteilung von Lukaschenkos Präsidialverwaltung. Alles deutet darauf hin, dass dieses sogenannte Interview das Ergebnis von „Missbrauch, Folter und Drohungen“ ist. So ordnet es Protassewitschs Vater nach der Ausstrahlung am Donnerstag: „Sie haben ihn gebrochen und gezwungen zu sagen, was sie hören wollten.“ Ähnlich äußern sich führende Repräsentanten der Opposition.

Am Ende der Aufzeichnung kündigt Protassewitsch mit erstickter Stimme an, nicht länger politisch aktiv sein zu wollen. Er wünsche sich nichts als ein normales Leben mit Frau und Kindern. Dann rollt eine erste Träne über die Wange. „Verzeihung“, ist das letzte geflüsterte Wort, das er noch hervorpresst.

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