Der krebskranke Dissident Liu Xiaobo ist tot. Der von ihm unbeirrt vorgetragene Kampf für Demokratie und Menschenrechte aber ist damit nicht beendet.

M Peking - it Liu Xiaobo ist ein Stück der Hoffnung auf ein freieres China gestorben. Der chinesische Friedensnobelpreisträger war 61 Jahre alt, als er am Donnerstag dem Leberkrebs erlag. Kurz vor seinem Tod hatte Liu noch den Wunsch geäußert, auszureisen. Die chinesische Regierung hat jedoch darauf bestanden, ihn als verurteilten Straftäter weiter unter Bewachung zu halten.

 

  Liu war der prominenteste und zugleich einer der tapfersten der Regimekritiker, die sich in den vergangenen Jahren gegen den chinesischen Staat gestellt haben. Weil er nicht schweigen wollte, hat die Justiz ihn wie einen Schwerverbrecher behandelt. Im Jahr 2009 haben Richter in Peking den Schriftsteller zu elf Jahren Haft verurteilt. Sein Delikt: Er hat Artikel geschrieben, in denen er den Einparteienstaat kritisiert hat.   Liu hinterlässt seine Frau, die Dichterin Liu Xia. Sie hat ebenso tapfer gekämpft hat wie er selbst. Liu Xia wurde in den langen Jahren seiner Haft zu seiner Sprecherin, stand selbst unter Hausarrest, litt unter Depressionen, musste alles mit durchleiden – doch sie hat durchgehalten. Sie ist die zweite Heldin dieser Geschichte, eine junge Dichterin, die gerade ihren ersten Band mit Lyrik veröffentlicht hatte, als sie sich in Liu Xiaobo verliebte. Und er sah in ihr die „schönste Frau der Welt“.

Am Platz des Himmlischen Friedens verhandelet er mit den Mächtigen

Das war in den Achtzigerjahren, sie war Mitte 20, er fünf Jahre älter. Li Xiaobo setzte sich damals schon für Menschenrechte ein. Der damalige Reformkurs der Kommunistischen Partei gab ihm Hoffnung, etwas bewegen zu können. Er träumte von Meinungsfreiheit und einer offenen Diskussion über ein neues China. Im Jahr 1989 erwies sich Liu Xiaobo als tragischer Held der Stunde. Er hatte die Demonstrationen für mehr Freiheit mitorganisiert und Reden gehalten. Doch als klar wurde, dass die Regierung Gewalt anwenden wird, handelte er den sicheren Abzug von Hunderttausenden Studenten vom Tiananmen-Platz aus. Hinterher landete er für fast zwei Jahre im Gefängnis. Das Trauma vom Tod auf dem Platz des himmlischen Friedens war Ansporn, nicht aufzugeben. Kurz nach seiner Entlassung fing er an, eine Zeitschrift mit dem Namen „Demokratisches China“ zu leiten, die heute noch in einer Online-Version weiterlebt. Nachdem er in seinen Artikeln unablässig für Meinungsfreiheit und unabhängige Justiz argumentiert hatte, steckte der Staat ihn 1995 erneut ins Gefängnis. Gleich danach musste er ins Arbeitslager.   Liu Xia erwirkte das Recht, ihn zu heiraten. Die schlichte Zeremonie fand im Lager statt, doch sie gab den beiden künftig immerhin das Recht, sich zu sehen. Jeden Monat fuhr Liu Xia von Peking 600 Kilometer nach Nordchina, um wenige Minuten mit ihm zu verbringen und unter Aufsicht einige Worte mit ihm zu wechseln.

Die Chinesen ehren ihre Märtyrer

Von 1999 bis 2009 war Liu fast etwas überraschend für zehn Jahre frei. Doch schon im Olympiajahr 2008 bahnte sich die nächste Katastrophe an. Liu Xia berichtet später, sie habe von Anfang an „kein gutes Gefühl“ mit der Charta 08 gehabt. In diesem Dokument stellten 303 Intellektuelle fest: „Chinas Bürgern wird klar, dass Freiheit, Gleichheit und Menschenrechte universelle Werte sind und dass Volksherrschaft und Verfassungsstaat die Basis moderner Politik sind.“   Die Charta 08 rechnete auch mit der Partei und ihren Lügen ab. China sei in den „Abgrund des modernen Totalitarismus“ gestürzt.

Das konnte Staatschef Hu Jintao nicht durchgehen lassen. Liu wurde unter Arrest gestellt und 2009 zu der Gefängnisstrafe verurteilt, die er nicht überleben würde.   Liu Xia sah ihren Mann erst in diesem Frühjahr für längere Zeit  wieder, als er bereits abgemagert und vom Tod gezeichnet an Leberkrebs litt.   Doch Lius Anstrengungen waren nicht vergebens. Sein Leben und sein Werk sind ein Stachel im Fleisch der Mächtigen. Die Machthaber wissen, dass konfuzianische Gelehrte in der chinesischen Geschichte den Märtyrertod für ihre Werte gestorben sind, weil sie den Kaisern widersprochen haben. Die Gelehrten gelten heute als Helden, nicht die Kaiser. In konfuzianischen Tempeln sind ihnen Standbilder gewidmet.   In diese Reihe gehört auch der moderne Schriftgelehrte Liu Xiaobo.